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Leben und Werk Jules Vernes: 

Aus dem Archiv

BZ

Der nachfolgende Textbeitrag dieser Seite ist keine Ausarbeitung von mir, sondern eine Ergänzung meiner Homepage. Für die Veröffentlichung des Artikels auf meinen Jules-Verne-Seiten habe ich durch die Autorin Ulrike Ruppel die Genehmigung erhalten. Die Originalveröffentlichung erfolgte in der Berliner Zeitung vom 8. Februar 2003 auf Seite 20 und 21 (BZ-Kultur). 

Er schickte die Menschen auf den Mond: Heute wäre Jules Verne 175 Jahre geworden


Visionen der modernen Welt

Von ULRIKE RUPPEL


Die Nerven der Techniker sind zum Zerreißen gespannt: Gleich werden drei Männer die erste Reise zum Mond antreten. Im All werden sie die Schwerelosigkeit erleben, ihr Gefährt mit Bremsraketen auf Kurs bringen - und am Ende der Reise im irdischen Ozean landen.

So war das, als 1969 die ersten Menschen zum Mond flogen. Und so steht es in den Romanen, die der Franzose Jules Verne (1828-1905) vor mehr als 130 Jahren schrieb. In "Von der Erde zum Mond" und "Die Reise um den Mond" nimmt er so manches vorweg, was sich später erfüllen sollte - bis hin zum Startplatz der Mondkapsel, den Verne nur wenige Kilometer vom US-Weltraumbahnhof Cape Canaveral ansiedelt.

Das ist Zufall - anderes nicht. Denn der Visionär und phantastische Autor, dessen Geburtstag sich heute zum 175. Mal jährt, war kein Träumer. Aufmerksam verfolgte er die technischen Entwicklungen seiner Zeit, schuf eine gigantische Zettelkartei mit mehr als 20000 Notizen aus allen Wissensbereichen.

Auf dieser Basis entwickelte der technikbesessene Jurist seine "Erfindungen", nahm Hubschrauber, Elektromotor und Faxgerät vorweg. Mittels Pressluft jagte er die Pariser Stadtbahn wie Rohrpost durch Tunnels ("Paris im 20. Jahrhundert"). Sein U-Boot Nautilus ("20000 Meilen unter dem Meer") schwimmt unter dem Nordpol hindurch, was erst 1958 gelingen sollte. Taucher mit Atemgeräten bewegen sich frei unter Wasser - in der Realität hingen sie noch vor 60 Jahren an Luftschläuchen. Und in seinem Roman "In 80 Tagen um die Welt", der jetzt mit Jackie Chan in Babelsberg verfilmt wird, legt Verne ein Tempo vor, bei dem seinen Zeitgenossen Hören und Sehen verging.

Aber auch die negativen Seiten des Fortschritts ließ er nicht außer Acht: In "Die Erfindung des Verderbens" droht eine Waffe von der Zerstörungskraft der Atombombe in verbrecherische Hände zu geraten. In "Die 500 Millionen der Begum" entwickelt ein Schurke fatale "Gefriergeschosse", die - ähnlich der Neutronenbombe - Leben vernichten und Sachwerte unbeschädigt lassen. Natürlich war der Militarist ein Deutscher - ein kleiner Hieb gegen den "Erbfeind", der Frankreich 1870/71 eine empfindliche Niederlage beigebracht hatte.

Aber auch die sozialen Folgen der Technisierung hat Verne bedacht: Sein "Paris im 20. Jahrhundert" wird von einer Gesellschaft bevölkert, die zunehmend in Zahlen denkt und Muße, Kunst und Bildung vernachlässigt. Dieser Entwurf aus dem Jahr 1863 war Vernes geschäftstüchtigem Verleger dann doch zu revolutionär: Erst 1990 wurde das unveröffentlichte Manuskript in einem Tresor entdeckt und veröffentlicht.

Für Andreas Fehrmann, Jules-Verne-Experte und Autor einer wunderbaren Internet-Seite (www.j-verne.de), ist der Paris Roman die kühnste Vision des Franzosen - gerade weil der heutige Leser die gewagtesten Phantasien gar nicht mehr als solche zu erkennen vermag. Straßenlampen, die zu Tausenden auf einen Schlag aufglühen. Elektrisch erleuchtete Wohnungen mit Elektroherden. Auto-ähnliche motorenbetriebene Fahrzeuge, die sich in Massen über die Straßen bewegen: Was uns heute selbstverständlich vorkommt, war zu Zeiten der Gas- und Petroleumlampen nahezu unvorstellbar!

Trotz allem blieb Verne ein Kind seiner Zeit: Neben seinen "Autos" traben immer noch Pferde. Und bei aller Begeisterung für die neue Elektrizität hat die heute überholte Dampfkraft einen festen Platz in seinen Zukunftsentwürfen. Auch von Raketen wusste er noch nichts: Seine Mondreisenden treten ihre Reise in einem überdimensionalen Kanonengeschoss an. Heute weiß man, dass der Andruck, der beim Schuss aus einer solchen Riesenkanone entstehen würde, die Insassen des Projektils zerrissen hätte. Auch Vernes Vorstellung von unserem Planeten wurde von der modernen Geowissenschaft überholt. Die "Reise zum Mittelpunkt der Erde" treten die Abenteurer durch einen erloschenen Vulkan an. Immer tiefer dringen sie ins Erdinnere vor. "Bereits nach 100 Metern ist es da unten aber so heiß, dass man es gar nicht mehr aushalten kann", erklärt der Wissenschaftsjournalist und Verne-Fan Bernhard Mackowiak. Die Temperatur im Erdinneren beträgt 6000 Grad Celsius.

Mackowiak bewundert die Akribie des Visionärs, dem keine Mühe zu viel war. "Weil er den Mond realistisch darstellen wollte, gab er bei den Berliner Astronomen Beer und Mädler eine Mondkarte in Auftrag." Um seine Helden auf dem Erdtrabanten landen zu lassen, reichten ihm die Informationen aber nicht aus: "Dazu nahm Verne seinen Bildungsauftrag zu ernst. Er wollte seine Leser nicht mit Spinnereien in die Irre führen." Deshalb wird der Mond nur umkreist. Und weil man damals nicht wusste, wie die Rückseite aussieht, tauchte sie der Autor ins Dunkel und kam um die Beschreibung herum. Auch sonst flüchtete sich Verne lieber in literarische Kunstgriffe, als in pure Phantasie abzuschweifen. Über die nie versiegenden Batterien, mit denen "Robur der Eroberer" seine Motoren antreibt, heißt es lediglich: "Wie sich die Säuren zusammensetzen, war Roburs Geheimnis."

"Verne war der populärste französische Autor seiner Zeit", erklärt FU-Romanist Prof. Winfried Engler. Doch von seinen feingeistigen Schriftstellerkollegen wurde der Bestseller-Schreiber, der es auf 54 große Romane brachte, nie akzeptiert. Dabei erfüllte er eine politisch gewünschte Funktion, indem er spielerisch technisches und geografisches Wissen vermittelte. Bis in unsere Zeit weckt er in jungen Leuten Interesse an der Technik: Der deutsche Raketenpionier Wernher von Braun ist nur einer von vielen, der durch die Verne Lektüre in die Forschung fand.


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