Collection Fehrmann

Jules Vernes Voyages extraordinaires

Die Reise um die Erde in 80 Tagen - Ergänzungsseite

PALLE HULD - Reise um die Erde in 44 Tagen




















/1/ Titelseite als Aufmacher für den auf Seite 2 abgedruckten Artikel  LES RECORDMEN DU TOUR DU MONDE. Eine Auflistung schneller Weltumrundungen. Aus der Zeitschrift LE PETIT JOURNAL, Ausgabe 1538 vom 13. Juni 1920; CF /6956/.

/2/ Aus der Zeitschrift LE PETIT JOURNAL, Ausgabe 1842 vom 11. April 1926 Seite 173; CF /7212/.

/3/ Palle Huld: Le Tour Du Monde En 44 Jours; Hachette 1928, 165 Seiten, Franz. Übersetzung von Elna Cornet, illustriert mit 21 fotografischen Tafeln

/4/ Palle: Mit fünfzehn Jahren um die Welt in 44 Tagen; Verlag E. A. Seemann Leipzig 1928; Hier vorliegend: 4. Aufl. 16. - 18. Tausend, erschienen im Frühjahr 1929

/5/ Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Leipzig, Nr. 229 vom 1. Oktober 1928, Rubrik Fertige Bücher Seite 8149

/6/ BULLETIN DE LA SOCIÉTÉ JULES VERNE; Paris Juillet 2022; Detail aus Volker Dehs: LE TOUR DU MONDE DE PALLE HULD, 1928; Seite 102

/7/ L'Illustration, Nr. 4444 vom 5. Mai 1928, Paris CF /7251/, Bild und Artikel auf Seite 431, Bild CF /21449/

1. BeispielDer Roman Die Reise um die Erde in 80 Tagen hat viele Nachahmer gefunden, die in direkter Aufnahme des Staffelstabes, den Roman als Aufforderung zur Einstellung des Rekordes aufnahmen. Dazu gesellen sich diverse Rekordversuche der Erdumrundung, die gern in Verbindung mit der Romanidee gesehen werden.

Wenn wir uns heutzutage dem Thema nähern, dann denken die meisten Vernianer eigentlich an die amerikanische Journalistin Nellie Bly, die  am 25. Januar 1890 um 15:51 Uhr nach ihrer Erdumrundung wieder an ihrem Ausgangsort New Jersey ankam. Sie stellte damals den Weltrekord der schnellsten Umrundung aller Zeiten, mit 72 Tage, sechs Stunden, elf Minuten und 14 Sekunden ein. Da sie Kontakt zu Verne aufnahm, ist dies in kollektiven Erinnerung der Freunde Jules Vernes geblieben.

Beispiel 2Besonders zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren schnelle Erdumrundungen ein beliebtes Sujet der Presse. Ich zeige hier ein paar Beispiele.Links oben ein Bildmotiv von 1920 /1/ mit den Akteuren Stiegler, Schmidt, Mears und Beaumont. Im rechten Beispiel sehen wir Jules Verne gemeinsam mit dem Konterfei von M.M. Jagerschmidt, Stiegler und Mears aus dem Artikel LES RECORMEN DU TOUR DU MONDE, der 1926 aktualisiert erschien /2/.

Ich möchte diese Seite aber einem jungen Mann aus Dänemark widmen, der zum 100. Geburtstag Jules Vernes im Jahre 1928 eine sehr beachtete Leistung verbrachte. Es handelt sich um den 15 jährigen Dänen Palle Huld, der die Erde mit Bahn und Schiff in 44 Tagen umrundete.

Palle Huld Buch von Hachette 1928Wie unten detailliert von Lorenz Derungs beschrieben, wurde diese Leistung enthusiastisch gefeiert. Im Nachgang dazu erschien ein Buch, welches in viele Sprachen übersetzt wurde. In der französischen Version (siehe links /3/) die auch noch im gleichen Jahr erschien, gab es ein Vorwort von Jean-Jules Verne, dem Enkel des Romanciers.

Palle Buch in Deutschland 1928Im September 1928 erschien das Buch in Deutschland (siehe Bild rechts /4/). Bereits am 1. Oktober jubelte man im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel: "Bereits 8 Tage nach dem Erscheinen sin von Palle Mit fünfzehn Jahren in 44 Tagen um die Welt 5000 Exemplare fest verkauft. 6. - 10. Tausend soeben erschienen!" /5/. Der deutsche Übersetzer schrieb u.a. im Vorwort: "... In schlichter Jungenssprache berichtet Palle hier, was er in diesem schnellen Tempo unterwegs sah, wie sich die Welt einem Jungen, der niemals die Grenzen seines kleines Landes verlassen hatte, offenbart..."

Nach seiner berühmten Erdumrundung reiste Palle nach Frankreich, um in Amiens am Grabe Jules Vernes den Dichter zu ehren. Nach seiner Aussage, soll es "das wichtigste Ereignis in seinem Leben" gewesen sein /6/. Dieser Besuch wurde von den damaligen Presse aufmerksam registriert und der Leserschaft nahegebracht.

q21449Bild rechts /7/: Palle (an den Kniebundhosen erkennbar) und eine Gruppe von Pfadfindern (Boy-Scouts) grüßen den verstorbenen Autor, nachdem sie Blumengebinde niedergelegt haben. Was für uns im ersten Augenblick etwas befremdlich erscheint, war auch damals schon einen Zeitungskommentar wert. Sie strecken den Arm in der Art der Pfadfinder aus, was zugleich der Geste des Bildhauers Roze entspricht, mit der Verne aus seinem Grab grüßt. Siehe dazu vertiefend auch: Jules Vernes letzte Ruhestätte auf dem Friedhof La Madelaine in Amiens.

Der Artikel Vorbild Palle Huld wurde vom Autoren Lorenz Derungs geschrieben. Siehe dazu seine Seite:
MSVD - 1300 Arbeitsblätter Deutsch

Ich bedanke mich bei Lorenz Derungs für die Möglichkeit der Nachnutzung seiner Ausarbeitung, welche er mir mit Schreiben vom 3. August 2023 bestätigte.

Das Bildmaterial ist nicht aus dem Artikel.

/8/ Agence photographique ROL, Aufnahme vom 23. April 1928. ROL Reg. No. 128526. Die Bildmangel wurden von mir elektronisch ausgeglichen, das Format wurde beschnitten.

/9/ aus dem Buch /4/ Teil der Bildeinlage nach Seite 136

/10/ Palle Huld auf dem Roten Platz in Moskau während seiner Erdumrundung 1928. Das Bild ist gemeinfrei.

/11/ Tintin als Poster, Verlag unbekannt, gestaltet nach © Hergé 










Lorenz Derungs (siehe Anmerkung links):

... Vorbild Palle Huld

"In Hellerup war das Wetter an jenem Morgen im Februar 1928 grau und diesig. Der knapp 15-jährige, schmächtige und rothaarige Palle Huld ging missmutig zur Arbeit. Die Lehre in einem Hutgeschäft hatte er abgebrochen, und die jetzige Arbeit als Büroangestellter bei einem Fabrikanten für Autozubehör schien auch nicht das, was er sich vom Leben erhoffte. Dazu hatten ihn seine Schwestern wieder mal mit ihrem ewigen: „Du Muttersöhnchen!“ geärgert. Als er mit Verspätung im Fabriklager eintraf, hielt ihm ein Kollege die Morgenausgabe von „Politiken“ unter die Nase und meinte: „Das wäre doch was für dich, Kleiner!“

Man suche, so der Aufruf auf der Titelseite, einen Jungen zwischen 15 und 17 Jahren, der bereit sei, in 44 Tagen die Welt zu umrunden - ohne Flugzeug, nur mit Bahn, Schiff und Automobil. Die Zeitung wolle auf diese Weise Jules Vernes 100. Geburtstags gedenken.

Das wäre wirklich was! Wie ein Phileas Fogg um die Welt reisen! Palle Huld nimmt für diesen Tag frei. Er rennt nach Hause und erbettelt die verlangte Unterschrift seiner Eltern. Er ist pünktlich um 14.00 Uhr im Redaktionsgebäude der Zeitung. Nanu? Da sind noch andere Jungs, mindestens 350. Die Schlange zieht sich das ganze Treppenhaus hinauf. Jeder Kandidat wird einzeln befragt. Endlich ist Palle an der Reihe. Auf die Frage, wie er denn reagieren würde, sollten ihm in China alle Habseligkeiten geklaut werden, antwortet er: „Ich würde nach einem Dänen suchen, der mir helfen kann.“

Wieder zu Hause, lachen ihn seine Schwestern aus, als sie von seinen Träumereien hören. Wer würde einen Schulversager, ein Bubi mit Laubflecken im Gesicht, wählen? Doch die Zeitung meldet sich noch am gleichen Tag. Die Schwestern staunen. Palle jubelt. Die Mutter lässt sich vom Arzt Beruhigungsmittel verschreiben.

Palle Huld in FrankreichAm 1. März 1928, um acht Uhr morgens, stieg Palle Huld, umgeben von einem Fahnenmeer, im Kopenhagener Hauptbahnhof in den Zug.


Bild links: Palle unterwegs in Frankreich /8/


Hulds Reise um die Welt war von der Zeitung eher als Reise um die - etwas weniger gefährliche - nördliche Halbkugel angelegt. Von Dänemark nach England und Schottland, dann per Dampfschiff nach Kanada. Mit dem Canadian Pacific Express sollte er Kanada durchqueren, um dann in Vancouver ein Linienschiff nach Japan zu besteigen. Die Transsibirische Eisenbahn würde ihn bis nach Moskau bringen, und von dort sollte er über Polen und Deutschland zurück nach Dänemark gelangen. Gefahren lauerten dennoch auf dieser Route. Es galt, die Mandschurei zu durchqueren, ein Gebiet, das damals von Japan und den Sowjets hart umkämpft wurde.

Palle in ParisMoskau in jener Zeit war alles andere als ein Touristenparadies; in der Sowjetunion standen Fremde unter dem Generalverdacht, kapitalistische Spione zu sein. Hinzu kam der Umstand, dass ein allein reisender Junge ein interessantes Objekt für die in Bahnhöfen und an den Häfen herumlungernden Ganoven war


Palle wird in Paris von französischen Pfadfindern auf seiner Rundreise begrüßt /9/



Doch weder Gaunerbanden noch Stalins Geheimpolizisten taten ihm etwas an. Auch die Kanonen und Maschinengewehre in der Mandschurei waren kein Problem. Vielmehr hätte die Reise beinahe schon in Kanada ein abruptes Ende genommen. Denn Palle Huld hatte auf der Überfahrt ein Mädchen kennengelernt. Mit dieser jungen Dame wollte er nun ausgehen - statt den Zug nach Vancouver zu nehmen. Er lud sie - übrigens auf Kosten der Zeitung - zum Essen ein! Zufälligerweise fuhr später noch ein Sonderzug für Immigranten. Es gelang ihm, dort einen Platz zu ergattern und die Westküste dann doch noch rechtzeitig zu erreichen.

Das zweite Missgeschick passierte, als Huld in Moskau eintraf - nicht etwa zu spät, sondern zu früh! So stand am Bahnhof niemand bereit, der ihn erwartete. Kurzerhand entschied er, selbst zur dänischen Botschaft zu fahren. Doch der Fahrer des Kutschentaxis kannte die Adresse nicht, und nach einer langen Irrfahrt musste er schließlich in einem Hotel absteigen, um von dort aus die Botschaft zu kontaktieren. Er hatte Glück gehabt, denn solche Eskapaden unbegleiteter Ausländer endeten in kommunistischen Ländern üblicherweise in einem Gefängnis.

Bei seiner Rückkehr nach Kopenhagen erwartete ihn frenetischer Jubel. 20 000 Menschen beklatschten den Nachfolger von Phileas Fogg auf dem Rathausplatz und zwei Polizisten trugen ihn auf ihren Schultern durch die Menge.

Palle Huld in MoskauSchon in den nächsten Tagen machte er sich an die Arbeit und begann sein Werk Rund um die Welt in 44 Tagen mit Palle. Das Buch wurde sofort ein Erfolg. Es wurde in elf Sprachen übersetzt. Ein Exemplar erreichte den damals 22-jährigen Georges Prosper Remi, der später als Hergé bekannt werden sollte. Die Reisen des jungen Palle hatten Hergé dermassen fasziniert, dass er nur wenige Monate später Tintin schuf und seinen ersten Comic veröffentlichte.

Während Huld in seiner Heimat Schauspielerei studierte und zwischen den Jahren 1933 und 2000 in über 40 Spielfilmen mitwirkte, wurde die belgische Comicfigur „Tintin“ für seine Abenteuer in China, Kenia und sogar auf dem Mond weltberühmt. Der echte Abenteurer Huld berichtete ab und zu über weitere Reisen, nämlich über abenteuerliche Motorradfahrten durch Kanada, Europa und den Iran. Seine letzten Tage verbrachte er zurückgezogen in Kopenhagen in einem Seniorenheim. Er hatte bis zu seinem Tod nie „Tintins oplevelser“ („Die Abenteuer von Tim und Struppi“) gelesen."

Bild rechts: Palle Huld auf dem Roten Platz in Moskau /10/


Tintin als PosterGerade die These, dass Palle Huld als Basis der Ideengebung für Tintin (Tim) gilt, ist quer durch alle Rezensionen noch immer umstritten. Eine verbindliche Stellungnahme des belgischen Autoren Hergé werden wir leider nicht mehr erhalten. Ich selbst schließe mich der These der Anregung für die Figur an, ist doch der Kleidungsstil und sein roter Schopf ziemlich markant wiederzuerkennen. Und wenn man die obige Aufnahme von Palle in Moskau mit der Darstellung von Tintin im rechten Bild vergleicht, dann sind Schiebermütze, Staubmantel und Kniebundhosen schon augenscheinlich ähnlich. Und da es ja vor allem um den Wiedererkennungseffekt geht, kann ich mit dem Vergleich gut leben.

Bild rechts: Tintin als modernes Poster /11/
                         

© Fehrmann 08/2023,
letzte Aktualisierung 1. September 2023

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