Collection Fehrmann Jules Vernes Voyages extraordinaires Die Reise um die Erde in 80 Tagen - Ergänzungsseite NELLIE BLY - Die mutige Reporterin (ihre Reise um die Erde in 72 Tagen) |
Elizabeth Jane Cochran(e), geboren am 5. Mai 1864 in Cochran's Mills, Armstrong County, Pennsylvania; Künstlername: Nellie Bly; gestorben am 27. Januar 1922 in New York. Sie änderte schon als Jugendliche den Namen Cochran zu Cochrane und machte sich als Journalistin grundsätzlich um mehrere Jahre jünger. Aufnahme von ca. 1890. Bemerkung: Auch in späteren biografischen Aussagen "bog" sie sich einige Details, aber auch Erlebnisse in ihrem Sinne zurecht. Elizabeth Bisland, verh. Wetmore, geboren am 11. Februar 1861 in St. Mary Parish, Louisiana; gestorben am 6. Januar 1929 in Charlottesville, Virginia. Aufnahme von 1891. oben: /1/ Matthew Goodman: In 72 Tagen um die Welt; btb Verlag München 2013, 1. Auflage; ISBN 9-78-3-442-75399-4; Sammlung Fehrmann /2/ Studioaufnahme von Nellie Bly 1890; Erstellt im Auftrag von THE WORLD; Eine genaue Quellenangabe ist nicht mehr recherchierbar /3/ Stahlstich aus der Seite 199 in L'Illustration - Journal Universel Hebdomandaire; Nr. 3240, 1. April 1905; Paris; CF/6815/ /4/ aus /1/ Zitat von Seite 224, ursprünglich aus: Sherard: Die kleine Reporterin; Seite 315 /5/ aus /1/ Zitat von Seite 227, ursprünglich aus: THE WORLD, 24. November 1889: Nellie meets Verne, verfasst von Tracey Graves /6/ aus /1/ Zitat von Seite 228, ursprünglich aus: THE WORLD, 24. November 1889: Nellie meets Verne /7/ aus /1/ Zitat von Seite 525, ursprünglich aus: MILWAUKEE SENTINEL, 25. Januar 1890, Artikel: Beating Her Time /8/ Faksimile der Extraausgabe THE WORLD, New York vom Samstag dem 25. Januar 1890 /9/ LE PETIT PARISIEN; Ausgabe vom 14. Mai 1890 Nummer 4946, Paris; CF /7257/ /10/ aus /9/, Seite 1; 3. Spalte, frei von mir übersetzt /11/ Bild aus einem Kaufangebot eines US-Onlineshops zum Erwerb des originalen Werbematerials |
Der
Roman Die Reise um die Erde in 80
Tagen inspirierte
schon kurz nach seinem Erscheinen Nachahmer, die den fiktiven Rekord
von Phileas Fogg bei der Erdumrundung brechen wollten. Die bekannteste
dieser Reisenden ist die Amerikanerin Nellie Bly. Nellie, die unter dem Namen Elizabeth Cochran geboren wurde, versuchte schon als Teenager durch
Zeitungsbeiträge den Unterhalt der Familie aufzubessern. In einem
damals komplett auf Männer
ausgerichteten Zeitungsgeschäft war das ein schwieriges Unterfangen.
Durch ihre zielstrebige Arbeit und ihre Erfolge war sie eine der
Pionierinnen, die den Weg der Frauen in dieser Branche öffnete. So
schrieb sie über soziale Missstände und über das Leben einfacher
Menschen in ihrer Umgebung. Über mehrere Kleinstadtblätter gelangte sie
gegen Ende des Jahres 1887 als Reporterin zur Zeitung NEW YORK WORLD, der späteren THE WORLD.
Hier machte sie sich im Hause von Joseph Pulitzers Zeitung einen Namen
als Enthüllungsjournalistin, indem sie sich undercover z.B. solch
brisanten Themen wie den Zuständen in einer Nervenheilanstalt für
Frauen oder dem Handel mit Kleinkindern widmete. Noch bevor sie für die WORLD
arbeitete, reiste sie bereits mit ihrer Mutter allein nach Mexiko.
Während und nach der Reise schrieb sie über die Reise an sich und dem
korrupten politischen System im Zielland. Aufbauend auf dieses damals
ungewöhnliche Unterfangen, denn alleinreisende Frauen waren eine absolute Ausnahme, kam sie später bei der WORLD
auf den Gedanken, eine spektakuläre Weltreise zu unternehmen.
Zwischenzeitlich schlug sie der Redaktion vor, eine Alleinreise nach
Europa zu unternehmen, um dann die Zustände auf den Auswandererschiffen
auf dem Weg nach Amerika zu beschreiben. Aber erst im November 1889
stimmten die Entscheider ihrer Zeitung einer Weltreise zu und kündigten
diese öffentlichkeitswirksam in ihrem Blatt an. Grundidee der Reise war
es, die fiktive Zeitvorgabe von Phileas Fogg zu unterbieten, dabei aber
für die gesamten Reise nur öffentlich nutzbare Fortbewegunsmittel, vor
allem Standardzugverbindungen und Schiffe im Linienverkehr zu nutzen.
Als die Entscheidung zu dieser spektakulären Erdumrundung gefasst
wurde, ging es Schlag auf Schlag. Wollten doch die Herren der WORLD
keine Konkurrenz von anderen Publikationen zulassen. Denn eines wussten
sie sicher: Diese Reise würde die Auflagenzahlen nach oben schnellen
lassen. Gleich am Folgetag der Ankündigung ließ sich Nellie ihr später berühmtes kariertes Reisekostüm schneidern und nur mit einer Tasche Gepäck (!) war sie am Folgetag reisefertig. Siehe dazu das Bild rechts, nachgestellt in einem Studio 1890 /2/. Was ihr bis fast zur Hälfte der Reise nicht bekannt war, war die Idee der Konkurrenz: Die Redaktion der COSMOPOLITICAN schickte fast zeitgleich die Reporterin Elizabeth Bisland in entgegengesetzter Richtung um den Erdball. Das Ziel war es, Nellie um einen Tag zu unterbieten. Der Leser kann sich denken wie das Unternehmen ausging: Da heute fast nur noch von Nellie geredet und geschrieben wird, hatte damals Elizabeth Bisland ihre geplante Reisezeit nicht einhalten können. Rauhe Atlantikstürme verzögerten die Passage von Europa nach den Staaten um mehrere Tage. Nellie die den Weg in Richtung Osten zur Erdumrundung eingeschlagen hatte, war an dieser Stelle erfolgreicher mit den Witterungsbedingungen. Aber so ganz regelrecht war die Reise nicht. Denn mit leichter Verspätung in Kalifornien angekommen, musste die WORLD Sonderzüge zur Durchquerung der Staaten organisieren, um die eigene Zielvorgabe von 72 Tagen einzuhalten. Nur ungern wurden die Zeitungsmacher später an das Versprechen der Nutzung von Standardreisemitteln erinnert. Durch diese Sonderzüge traf Nellie am 25. Januar 1890 um 15:51 Uhr nach ihrer Erdumrundung wieder an ihrem Ausgangsort New Jersey an. Sie stellte damals den Weltrekord der schnellsten Umrundung aller Zeiten, mit 72 Tage, sechs Stunden, elf Minuten und 14 Sekunden ein. Die Zugreise durch die USA war ein nicht enden wollendes "Hurra" auf die mutige Journalistin, denn an jedem Bahnhof, egal ob der Zug hielt oder nicht, wurde sie von einer begeisterten Menschenmenge mit Jubel empfangen. Und die WORLD? Die hatte mit einem Preisausschreiben zur Schätzung der Gesamtreisezeit insgesamt fast eine Million Zeitungen verkauft. Denn clevererweise musste die Teilnahme mit der Aussicht auf einen Gewinn einer Europareise auf einem originalen Zeitungsbeleg eingereicht werden. Zeitgleich konnte die Zeitung ihre tägliche Auflagenstärke maßgeblich erhöhen. Bild links: Honorine und Jules in ihrem Hof sitzend /3/ Was
den Vernian an dieser Geschichte beeindruckt, ist die außergewöhnliche
Änderung der Reiseroute bei der Querung Frankreichs. Gleich nach der Kanalquerung erhielt sie Unterstützung. Denn in Begleitung
mit dem Journalistenkollegen Robert H. Sherard, dem Frankreich-Korrespondenten der WORLD, machten sie einen Abstecher
nach Amiens. Sherard war bereits 1893 zum ersten Mal bei Verne. Siehe dazu meinen Artikel: Zu Hause bei Jules Verne (Interview Sherard 1893). Nach der Jahrhundertwende erfolgte ein weiteres Interview von ihm. Siehe dazu Robert H. Sherard: Noch einmal bei Jules Verne (1903). Da die beiden Reisenden bei Verne kurzfirstig angekündigt
wurden, kam es zu einem besonderem Empfang auf den Bahnsteig in Amiens:
Sie wurden von den Vernes persönlich abgeholt. In später
niedergeschriebenen Erinnerungen liest sich das so: "Jules
Verne sah aus wie eine seiner Romanfiguren, ein Kapitän vielleicht, mit
welligen, aus der Stirn gekämmten weißen Haaren, einem dichten grauen
Vollbart; mit seiner gewölbten Brust wirkte er kraftvoll für seine
einundsechzig Jahre. Mit etwa einem Meter siebzig war er
durchschnittlich groß; Honorine neben ihm war deutlich kleiner,
korpulent und trug eine Jacke aus Seehundfell über einem dunklen
Seidenrock und ein Samthütchen auf dem Kopf. Obwohl ihr Haar so weiß
war die das des Ehemannes, hatte sie ein jugendliches Gesicht mit
klarem Teint und sehr roten Lippen" /4/. Gemeinsam fuhren sie in
Kutschen zum Haus der Vernes. In
einer gemütlichen und offenen Runde,
wobei Sherard als Dolmetscher fungierte, tauschte man sich aus. Die
nach diesem Besuch wiedergegebenen Eindrücke beschreiben ausführlich
die Wohnsituation der Vernes und das aufgeschlossene Verhalten der
Gastgeber. Nach Detailfragen zur Reiseroute und einigen lockeren
Dialogen stellte Jules Verne fest: "Es ist wirklich nicht zu glauben, dass dieses kleine Mädchen ganz allein um die Welt reist. Sie sieht doch aus wie ein Kind." /5/ Worauf seine Frau antwortete: "Ja,
aber sie ist dafür geschaffen. Sie ist in guter körperlicher
Verfassung, voller Energie und Kraft. Ich glaube, Jules, dass sie deine
Helden dumm aussehen lassen wird. Sie wird deinen Rekord brechen. Davon
bin ich so überzeugt, dass ich mit dir wette, wenn du willst."
/6/ Aber daruf ging ihr Gatte nicht ein. Die Gespräche gingen weiter
über Vernes Arbeit, seinen täglichen Routinen und seine aktuellen
Projekte. Eine Visite der Räume des Hauses schloss sich an, wobei Nellie
besonders an dem Arbeitsraum Vernes interessiert war. Geehrt
fühlte sie sich, als Verne ihr eine Wandkarte zeigte, auf der er
akribisch ihren Reiseverlauf eingezeichnet hatte. Kurz darauf gab es
eine herzliche Verabschiedung. Das
Treffen von Jules Verne mit Nellie Bly fand in der internationalen
Presse große Aufmerksamkeit und selbst Verne gab danach noch
Interviews, besonders erwähnt sei das mit der Londoner PALL MALL GAZETTE,
in denen er auf den Besuch der Bly einging. Auch Jahre danach ging
Robert H. Sherard in seinen Reportagen über Jules Verne, auf
diesen ersten Besuch nochmals ein. Er
war es auch, der Verne über die
erfolgreiche Ankunft von Nellie am Zielort informierte. Denn beide
Vernes, das ist übermittelt, verfolgten Schritt für Schritt die
berühmte Reise. Aber gehen wir nochmals einen Schritt zurück: Schon als
Nellie an der Westküste der Vereinigten Staaten ankam, sendete Verne
ein Kabel in dem stand: "Mr.
Verne wünscht, dass Miss Bly die folgende Nachricht überbracht wird,
sobald sie amerikanischen Boden betritt: Sowie die unerschrockene junge
Dame wieder ihren Fuß auf den Erdboden Amerikas setzt, möge Miss Bly
bitte die herzlichsten Glückwünsche von Monsieur und Madame Jules Verne
entgegen nehmen."/7/ Bild links: Die Extraausgabe der WOLRD zur Ankunft von Nellie /8/ Bild rechts: Detail aus der Extraausgabe mit dem Konterfei Jules Vernes; ebenfalls /8/ Als Nellie Bly dann am Ziel ankam, gab es eine Extraausgabe von THE WORLD. Siehe dazu die Bilder links oben und rechts. Natürlich durfte die Referenz zu Jules Verne nicht fehlen. Das Verne eine Information zum "Zieleinlauf" erhielt, hatte ich ja schon etwas weiter oben angesprochen. Laut LE PETIT PARISIEN
/9/, siehe auch dazu das unten gezeigte Detail der Titelseite, soll
sich der Informationsaustausch in etwa wie folgt gestaltet haben: "An
Monsieur Jules Verne, Amiens (Frankreich): Miss Nelly Bly ist heute in
New York angekommen. Sie hat die Welt in zweiundsiebzig Tagen, sechs
Stunden, elf Minuten und vierzehn Sekunden umrundet. Die New-York World
überreicht
Nach
diesem spektakulären Reiseunternehmen setzte ein großer Hype um Nellie
Bly ein. Besonders die Werbeindustrie nutzte sie in vielfältiger Weise.
Da zu dieser Zeit die Urheber- und Persönlichkeitsrechte noch nicht
umfassend gesichert waren, wurde ihr Name oft ohne Zustimmung von ihr
und ohne das sie dafür entlohnt wurde, genutzt. Sie selbst kündigte bei
der WORLD und ging auf
Vortragsreisen, die ihr einige Einnahmen brachten. Doch das Interesse
erlahmte bald und auch ihre schriftstellerischen Ambitionen stellten
sich nicht als sehr erfolgreich heraus. Später heirate sie einen
erfolgreichen und bedeutend älteren Geschäftsmann. Aber die kinderlose
Ehe war nur von kurzer Dauer. Nachdem mehrere ihrer Geschäftsideen
nicht sehr erfolgreich liefen, widmete sie sich sozialen Projekten. Mit
57 Jahren starb sie an Lungenentzündung. Was bleibt, wird immer die Erinnerung an ihrem Kampf um die Gleichberechtigung der Frauen sein und ihre unerschrockene Reise um die Welt in 72 Tagen.
Bild links: Eine der etwas kuriosen Werbe-Ideen mit Bellie Bly /11/ |
© Fehrmann 08/2023, |