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Collection Fehrmann Jules Vernes „Voyages extraordinaires"- Band VE 52 - |
Beispielbuch:
Buch oben: © Verlag Neues Leben, Berlin 1980, 2. Auflage 1984, L-Nr.: 303(305/324/84); CF /5201/ Als Grundlage für diesen Beitrag wurden die Texte dieser Ausgabe, die alte Hartleben Ausgabe und die der Pawlak-Edition (CF /5203/) herangezogen. /1/ Doppelausgabe vom Verlag
Hermann Michel, Berlin 35; Verlegt ca. 1930 mit den alten
Hartleben-Bunden: Der Leuchtturm am Ende der Welt
von 1906
(CF /8302/) und Ein
Drama in Livland von 1905 (CF /5204/). Der
Michel-Verlag wählte sogar die falsche Reihenfolge vom Erscheinen her
im Bund. Mehr zu den so genannten GELBEN PRACHTAUSGABEN auf meiner
Seite /2/ Brockhaus' kleines Conversations-Lexikon, F. A. Brockhaus, 4. Auflage, Leipzig 1888 /3/ Riga um 1900: Stadtansicht in der Totalen, im Hintergrund der Dom zu Riga; Postkarte, von mir optimiert; CF /21329/ /4/ Originalillustrationen aus /1/ von Leon Benett von Seite 40 /5/ Jules Verne: Maître du monde / Un drame en Livonie (Doppelband) Bibliotheque D'Education et de Recreation Paris 1904; mit diversen Chromotyphograhien; Bildbeispiel von Seite 97 (CF /5303/) /6/ Riga um 1900: Postkarte mit einer Geschäftsstraße, in der ein zaristischer Polizist posiert; Von mir optimiert; CF /21330/ |
Ein Drama in Livland (1904)
Wie schon zaghaft in Das im Spätmittelalter „Livland“ genannte Gebiet des aus Deutschland agierenden Schwertbruderordens war in etwa das heutige Estland und Lettland. Nach einer deutschen, kam dann eine polnischen Periode, bis die Region 1721 durch Eroberungen Peter des Großen zu Russland kam. Es war eines der russischen Ostsee-Gouvernements. Der Brockhaus von 1888 schreibt dazu: „Livland, Lievland, Liefland, russisches Gouvernement an der Ostsee, nach den Liven benannt, 47029 qkm, 1.86.607, meist luth. Einwohner, in SW Letten, im NO Esten (die Dorfbewohner), in den Städten Deutsche (Adel und Bürgertum) und Russen (Beamte und Kaufleute); viel Wald und Getreideanbau, Hauptstadt Riga.“ /2/
In der Realität
sah es so aus: Die Letten, vom ethischen Ursprung her aus Kuren, Selen,
Liven und Semgallen gebildet, sind ein rein baltisches Volk. Das sie
von Verne mit den Russen, also den eigentlichen Slawen, in einem
Atemzug genannt werden, ist eine totale Fehleinschätzung Vernes. Die
damalige Zarenpotitik, die eine Russifizierung des Baltikums anstrebte,
widersprach dem Freiheitsstreben der baltischen Völker, die um ihre
Identität und Selbstständigkeit kämpften. So waren die ursprünglichen
Bewohner der Region vom Mittelalter her den deutschstämmigen Adel und
den Kaufmannsgilden und später dann zusätzlich der russischen
Administrative des Zarenreiches ausgeliefert. Im Roman ist aber
auch die Gruppe der "Slawen" nicht
ohne Probleme, denn einige Einheimische haben sich im
Roman radikalisiert und zu Geheimbünden zusammen geschlossen.
Diese sind sogar den
Russen suspekt. Vielleicht ist dies Vernes Interpretation des Ziels der
Balten, sich autonom zu verwalten. Da in der Erzählung bei den
Auseinandersetzungen von „Rassenhass“ (wörtlich) und dem Kampf zwischen
Slawen und
Deutschen die Rede ist, erhält der Text teilweise eine gewisse Brisanz.
Die deutschstämmige Minderheit in dieser Region dient nun als Basis
einer deutlichen Parteinahme Vernes gegen die Deutschen. Aus meiner
Sicht eine Polarisierung, die noch aus dem Erleben
des Deutsch-Französischen Krieges beruht. Die Romanhandlung
Zeitgleich lernen wir den Familie Nicolef kennen. Hier in Riga lebt der Mathematik- und Physiklehrer Dimitri Nicolef zusammen mit seiner 24jährigen Tochter Ilka und seinem Sohn Jean, der studienhalber auch in Dorpat weilt. Dimitri Nicolef lebt von privaten Unterrichtsstunden die er gibt, wobei er davon nicht reich werden kann (Bild links: Im Hause Nicolef /4/).Der Vater des Lehrers hatte durch schlechte Geschäfte sein Vermögen eingebüßt und sein Sohn hatte nach dessen Tode noch die Schulden von seinem bescheidenes Vermögen zahlen wollen, um den Ruf der Familie zu wahren. Jetzt war er dadurch selbst hoch verschuldet. Nicolef ist der Kopf der Slawischen Partei, in denen Russen und Letten gegen die politische Einflussnahme der Deutschen aktiv sind. Wladimir Yanof wurde als Extremist vom Zaren verbannt, war aber eigentlich schon der Tochter Nicolefs, der schönen Ilka versprochen. Die Differenzen zwischen den Parteien werden immer größer. Auch die Kinder der Widersacher, Jean und Karl, beide Studenten in Dorpat, sind zutiefst verfeindet. Als Jean den Bankierssohn zu einem Duell herausfordern will, lehnt dieser ab: Mit dem Sohn eines Mörders kämpft er nicht! Was
war passiert? Der vertrauenswürdige Bankangestellte Poch erhielt die
Aufgabe, kurz vor seiner Hochzeit eine größere Summe Geldes über Land
zu einem Kunden zu bringen. Mit in der Kutsche ist eine vermummte
Gestalt, die aber anfänglich noch keine Beunruhigung mit sich bringt.
Erst als nach einer Übernachtung im Gasthaus des Wirtes Kroff der Bote
Poch am anderem Morgen in seinem eigenen Blute schwimmt, nimmt die
Untersuchung ihrem Lauf. Die Vermutung das der unbekannte Reisende den
Tod, und wie sich dann herausstellt auch den Raub zu verantworten hat,
verstärkt sich und so beginnt die Fahndung (farbige Buchillustration oben rechts: Die
Untersuchung am Wirtshaus /5/).
Er konnte ja nicht zugeben, dass er durch eine unglückliche Fügung, den verbannten Schwiegersohn in spe, Wladimir Yanof, eben in dieser Nacht und in diesem Gasthaus nach einer Verabredung getroffen hatte. Dort wollte Nicolef ihm eine Geldsumme zukommen lassen, die er für ihn verwahrt hatte. Hier kreuzten sich nun die Wege der Personen.... Bemerkung: Um nicht die Spannung des Romans zu nehmen, möchte ich den Schluss nicht detailliert beschreiben. Nur so viel: Als Nicolef sich nach seiner Verhaftung und Anklage umbringen will, scheint es eindeutig zu sein: Dies ist ein Schuldeingeständnis und Nicolef ist ein Mörder. Ein politisch motivierter Justizirrtum nimmt seinen Lauf. Durch eine überraschende Lösung kann die Unschuld Nicolefs dann doch noch nachgewiesen werden, aber nur noch sein Name kann rehabilitiert werden. Der Roman ist eine gelungene Mischung aus Dramatik und der Schilderung des Lebens dieser baltischen Region. |
![]() Fotos © Fehrmann 2018 ![]() |
Am fiktiven Ort des Geschehens: Zu Besuch in Riga und Dorpat Im Sommer 2018 besuchten wir die baltischen Republiken, unter anderem auch Lettland mit der Hauptstadt Riga und mehrere Städte und Sehenwürdigkeiten im Lande. Hier an dieser Stelle möchte ich nur auf Ziele und Motive des Romans Ein Drama in Livland Bezug nehmen. Zuerst eine Spurensuche nach ein paar Motiven aus dem alten Riga, wie es heutzutage aussieht: Links ein altes russisches Holzhaus, welches ganz zu unserem Roman passt. Rechts der Dom zu Riga, der weiter oben in der historischen Ansicht dominiert. ![]() ![]() Und weiter unten folgen jetzt Bilder vom fiktiven Studienort von Jean: Es ist das reale Dorpat, das heutige Tartu: Links unten ein Detail aus dem Studiencampus - die Statue von K. E. Baer (1792 bis 1876), ein Naturwissenschaftler der hochgeehrt wird. Seit dem 19. Jahrhundert ist die Statue im Mttelpunkt studentischer Riten und Feste. Rechts eine Totale des heutigen Tartu. Man erkennt gut die gewachsene Altstadt. ![]() ![]() |
/8/ Le Petit Journal Nr. 217, Paris am 13. Januar 1895: Die Degradierung von Dreyfus: Am 5. Januar 1895 wurde Kapitän Alfred Dreyfus feierlich degradiert, nachdem er im Dezember verurteilt wurde. /9/ Le Petit Journal; Nr. 218, Paris am 20. Januar 1895: Dreyfus im Gefängnis |
Literaturgeschichtliches Geschrieben wurde dieser Roman bereits 1894, aber Jules Verne hielt ihn zehn Jahre lang zurück, um keine Parallelen zur damals in Frankreich gerade aktuellen Dreyfus-Affäre zuzulassen. In dieser war ein untadeliger jüdischer französischer Artilleriehauptmann, Alfred Dreyfus (1859 – 1935), fälschlicher Weise der Spionage gegen Deutschland angeklagt und zu lebenslänglicher Deportation auf die Teufelsinsel verurteilt worden. Der Fall ist ein klassischer Fall von manipulierten Indizien, politischen Verstrickungen und letztendlich einem Justizirrtum. Details dazu sind links dem Dokument Wegen Hochverrats verbannt von Laurence Chabert zu entnehmen /7/.
Für die Recherche von weiteren Personen im Umfeld von Jules Verne
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Hinweis: Beschrieben werden nur in meiner Sammlung befindliche Bücher und Verfilmungen. Dargestellte Bücher sind Beispiele daraus. |
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Andreas Fehrmann 07/2000, letzte Aktualisierung 26. April 2021