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Jules
Verne - rätselhaft (4) |
![]() NAUTILUS Nr. 27 - Oktober 2015; CF /6943/ Bildquelle im Text: Sammlung Fehrmann, Motiv aus London, die Rätselfrage betreffend
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Ein
Hauch von Exklusivität Nach
mehreren schlaflosen Nächten sah sich Jules Verne sein
neuestes Manuskript an, eigentlich mehr eine Sammlung von in
unterschiedlichster Form bekritzelten Seiten. Wilde Streichungen und
Ergänzungen, oft bis fast an den Rand der Seite reichend, ergaben einen
ersten
Erzählstrang. Einige Passagen mussten noch aufgefüllt werden. Sein
Schlafmangel
war nicht nur das Ergebnis davon, dass er nächtelang Probleme wälzte,
nein, es
war auch die neu entstandene Unruhe und das nächtliche Geschrei seines
vor
kurzem geborenen Sohnes, welches ihm den Schlaf raubte. Sein
Federkiel kratzte, eine Ergänzung einfügend, über das
Papier. Irgendwie sollte die gerade im Text vorgenommene Präsentation
seines
Romanhelden noch glanzvoller dargestellt werden. Er zögerte, kramte ein
neues
Blatt Papier hervor. Also, sein Held erläuterte vor ausgewähltem
Fachpublikum
seine geplante Reise in bisher unerforschte Gebiete. Die Idee der
Durchführung
wurde als genial angesehen, und der Mut des Reisenden erstaunte – der
Jubel der
begeisterten Zuhörer wollte nicht abebben.
Kurzerhand ließ er ihn von der Expeditionspräsentation abholen und in diesen Club bringen. Dort erwartete ihn ein prächtiges Festmahl im Kreise der eleganten Weltenbummler. Schmunzelnd fügte er noch hinzu, dass kräftig mit französischen Weinen angestoßen wurde. Toast auf Toast wurde ausgebracht… Natürlich ist diese fiktive Geschichte der Ideenfindungrein spekulativ. Welchen heute noch in der Realität existierenden Londoner Club wählte Jules Verne zur Ausschmückung seines Romans? |
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Südpolreisen Jules Verne drehte vorsichtig
hantierend den Docht seiner Schreibtischlampe höher, den Lichtkreis
dadurch größer werden lassend. Eigentlich hatte er sich vorgenommen,
gar nicht mehr um diese Tageszeit zu schreiben. Aber jetzt am Abend
hatte er eine gute Idee, die er gleich festhalten wollte. Er hatte
mehrere Blätter seines Manuskripts mit dem aktuellen Kapitel auf dem
Tisch ausgebreitet. Querlesend nickte er. Ja, nun wollte er die Passage
des Südpols beschreiben.Als er vor einiger Zeit mit dem Vorhaben begann, die Erinnerungen an einen Autor, der ihn als junger Mann literarisches Vorbild war in einem eigenen Roman aufleben zu lassen, stellte er fest, dass dieses Rückbesinnen angenehme Gedanken aufkommen ließ. Denn unwillkürlich dachte er daran, wie unbeschwert er damals lebte, ohne gesundheitliche Handicaps, im Kreise seines Bruders und seiner Freunde. Während er sich in jungen Jahren durch die Lektüre seiner Favoriten unter anderen zu Abenteuern auch öfters in polare Regionen träumte, hielt sich heutzutage dieser Wunsch in Grenzen. Selbst in der warmen Jahreszeit fröstelte ihn und er spürte die Kälte in seinen Knochen. Aber egal, ihm war der Gedanke gekommen, dass er einen Handlungsfaden von Edgar Allan Poe weiterspinnen könnte. Er hatte auch schon einen klangvollen Namen für seinen Roman gefunden: Die antarktische Sphinx. So fügte sich in den letzten Wochen Kapitel an Kapitel. Die Feder kratzte über das Papier. Er entschloss sich, die Passage des Südpols etwas diffuser zu beschreiben. Nebel macht sich immer gut, dies trifft auch besser das Geheimnisvolle seines Werkes. Diese Brücke zwischen Poe und ihm sollte es geben. Seine Feder verharrte in der Luft, er ließ seine Gedanken schweifen. Ihm war eingefallen, dass er einige Lieblingsregionen der Erde schon mehrfach in seine Reisen eingebaut hatte. Die exotische Kulisse Nordafrikas zum Beispiel. Diese hatte er ja auch in der Realität besucht. Mit Wehmut dachte er dabei an seine Fahrten mit der Saint-Michel zurück. Vorbei - genau wie der Besitz der Jacht. Er zwang sich wieder zum Schreiben. Also zurück an den Südpol. Auch hier waren seine Helden schon mehrmals. Vor rund dreißig Jahren ließ er erstmals Kapitän Nemo seinen unfreiwilligen Besuchern Professor Arronax und dessen Gehilfen Conseil den Südpol voller Stolz zeigen. Fast die gleiche Situation gab es in einem Roman vor zirka zehn Jahren nochmals. Auch in diesem Werk wurde den zwei zwangsweise Mitreisenden der Südpol präsentiert. Nun gut – diese konnten in der damaligen Handlung bei guten Witterungsbedingungen den weißen Eismantel des Südpols deutlich sehen. Verne beugte sich wieder über seinen Schreibtisch. Diesmal ist das Wetter aber ungünstiger… Auf welchen Roman bezieht sich die fiktive Rückbesinnung Vernes mit der Situationsbeschreibung, in der der Südpol gut sichtbar erreicht und passiert wurde? |
![]() NAUTILUS Nr. 30 - April 2017; CF /6981/; Bildmotive: Oben Chantenay Eglise St. Martin; CF /21236/ - unten Trentemoult Anlegestelle; CF /21270) aus meiner Sammlung jeweils um 1900
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Reise in die Vergangenheit
Jetzt war Jules Verne schon mehrere Tage in Nantes zu Besuch. Inzwischen waren auch die letzten zu klärenden Dinge des Nachlasses der Eltern erledigt. Er spürte, dass er eine große Tür zugeschlagen hatte, die er nie mehr würde öffnen können. Schon 1871 war der Vater von ihnen gegangen, jetzt war ihm seine Mutter gefolgt. Sie hatte zwar das biblische Alter von 87 Jahren erreicht – aber so richtig realisieren wollten es die Brüder Paul und Jules nicht. Die Kutsche ratterte über das Pflaster in Richtung Chantenay. Da freundliches Wetter war, hatte Jules extra eine offene Barouche gewählt, damit er viel von seiner Umgebung sehen konnte. Jules blickte höchst konzentriert aus dem Wagen, gleich so, als wolle er sein Umfeld mit den Augen aufsaugen. Er registrierte die ihm gut bekannte Route. Als Nantes noch der Mittelpunkt seines Lebens war, wurde dieser Weg oft gefahren. Die Jungs genossen die Ausflüge in das Sommerhaus der Familie Verne, hier entdeckten sie die Welt für sich. Noch später traf man sich hier, um die inzwischen verstreute Familie zu bestimmten Anlässen zu einen. Jules schwelgte in Erinnerungen. Der Kutscher signalisierte, dass er unmittelbar vor dem Ziel der Fahrt sei. Sein Fahrgast zeigte nach rechts, der Kutscher sollte an der Kirche Saint Martin halten. Jules hieß ihn zu warten, und vorsichtig verließ er über den herausklappbaren Tritt den Wagen. Als er die Stufen zum Haupteingang erklomm,
kamen sie wieder, die
Erinnerungen. Wenn man am Wochenende in Chantenay war, dann besuchte
man hier die sonntägliche Messe. Oben vor dem Haupteingang der Kirche
drehte sich Jules um, er blickte auf die andere Straßenseite - genau
zum Eingang ihres ehemaligen Sommerhauses: Ja – dies war Geschichte.
Das Haus war jetzt verkauft. Eigentlich wollte er noch einmal Saint
Martin
und das Haus besuchen, um dann wieder zurück nach Nantes zu
fahren. Prüfend blickte er in den Himmel. Das Wetter schien freundlich
zu bleiben. Er entschied sich anders. Ohne die Kirche zu besuchen ging
er wieder zum Kutscher, bezahlte und entließ ihn. Seinen Spazierstock
schwingend überquerte er die Straße. Wenn er jetzt schon hier war, dann
sollte es eine Verabschiedung aller ihm vertrauten Plätze sein.
Liebevoll glitt sein Blick über die Fassade des Hauses. Dann ging er um
die Ecke, vorbei unter einem gusseisernen Kandelaber in Richtung Loire.
Er passierte die Mauer des Hauses, hinter der sich der Garten der
Sommerfrische verbarg. Es lief sich angenehm, denn die Straße hatte zum
Fluss hin ein leichtes Gefälle. Nach zirka einer halben Stunde war er
kurz vor dem Ufer. Die Loire hatte hier schon eine beachtliche Breite.
Auf der anderen Seite waren die Konturen des Fischerdorfes Trentemoult
zu sehen. Dieses gehörte früher zu einem der Standardausflugsziele der
Familie. Wenn man aus dem Sommerhaus in Richtung Fluss sah, konnte man
die roten Dächer des Ortes auf der anderen Seite der Loire sehen. Alle
wussten, dass hier Fahrensleute wohnten, die die ganze Welt gesehen
hatten. Bekannt waren auch die Kap-Horniers, die Seeleute, die die
Südspitze Amerikas umrundet hatten. Schließlich pflegten sie ihre
eigene Legendenbildung. Auch Kapitän Ollive wohnte dort, er hatte
Vernes Dampfjacht Saint Michel III unter seinem Kommando. Der Gedanke
daran war wieder ein Stich ins Herz. Letztes Jahr musste er seine Jacht
verkaufen, nicht zuletzt, weil die Schulden seines Sohnes Michel zu
begleichen waren. Jules hielt sich die Hand wie ein Schirm über die
Augen, dann blickte er zum anderen Ufer. Ob er auch noch mal nach
drüben fuhr? Eigentlich hatte er sich schon entschieden, aber wie um sein Gewissen zu beruhigen, zückte er seine Taschenuhr und ließ deren Deckel aufspringen. Die Zeit würde eigentlich reichen. Außerdem könnte er dann gleich von Trentemoult mit dem Schiff flussaufwärts nach Nantes zurückgelangen. Er suchte sich eines der kleinen Boote, die den
Fährverkehr von
Chantenay nach Trentemoult aufrecht erhielten, löhnte ein paar kleine
Münzen und kurz darauf wiegte er sich auf den Wellen der Loire. Die
frische Luft, das Meer war schon zu spüren, die Bootspassage und das
Panorama stimmten ihn wieder optimistisch. Als er nach links blickend
stromaufwärts die Île de Nantes erkannte, enteilten ihm seine Gedanken
zu seinem aktuellen Buchprojekt. Auch hier war wieder eine Insel der
Schauplatz des Geschehens. Als er in der letzten Woche Amiens verließ,
stand er in seinem Manuskript gerade vor der Aufgabe, dass von den
jugendlichen Helden die Insel erkundet werden sollte. Als er darüber
sinnierte, kreischte über ihm eine Möve. Nach oben blickend kam ihm der
Gedanke, dass eine Erkundung aus der Luft eine interessante Episode
hergeben würde. Sofort dachte er an einen Ballon. Doch diese Idee hatte
er schon zu oft strapaziert und die technischen Voraussetzungen dafür
waren in seiner Geschichte eigentlich auch nicht gegeben. Aber so ein
Blick aus dem Himmel hatte schon etwas Faszinierendes … Es gab einen Ruck, man hatte die Kaimauer der Anlegestelle erreicht. Noch während Jules Verne die Stufen zur Uferstraße erstieg, hatte er eine Idee … Diese Geschichte ist natürlich rein fiktiv, sie diente nur der „Verpackung“ der Rätselfrage: Welches ungewöhnliche Transportmittel zur Erkundung einer Insel wählten die Akteure Jules Vernes in dem gerade in der Vorbereitung befindlichen Roman? |
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Copyright © Andreas Fehrmann – 1/2019, letzte Aktualisierung 28. Januar 2019