Das Original:

Oben:
Titelei der Sammel-Ausgabe 1850/1851 /1/
Musée
des familles
Diese
Monatszeitschrift „für die
ganze Familie“ wurde zur Zeit des ersten Kontakts von Verne durch den
Journalisten Pitre Chevalier (eigentlich Michel Chevalier)
herausgegeben. Es gibt Vermutungen, dass er durch seinen Studienfreund
Charles Wallut dort eingeführt wurde. Ausführlich schreibe ich über
diese Ausgaben in meinem Beitrag Jules Verne in Periodika. Ähnlich
wie das später von
Pierre-Jules
Hetzel herausgegebene Magasin
d'Éducation et de Récréation war es eine Periodika,
die einem
heren Bildungsziel und der Unterhaltung bürgerlichen
Familien dienen sollte. Das Musée
des Familles folgte wie einem Leitfaden den Ansichten und
Vorstellungen katholischer Bildungsideale. So findet man belehrende und
kurzweilige Geschichten, Gedichte, ja selbst Musikstücke, gemischt mit
einem hohen Anteil von Reise- und Geschichtsbeiträgen. Beachtlich finde
ich auch den hohen Anteil großformatiger und handwerklich aufwendiger Holzstiche,
die die Zeitschriften zieren. Die
Ausgaben des Musée
konnten als Einzellieferungen bezogen werden, um bei Bedarf ggf. eine
individuelle Bindung vornehmen zu lassen, oder man bezog sie gleich als
Sammelwerk eines Jahres. Vielleicht noch ein interessantes Detail am
Rande: Über viele Jahre wurde Jules Verne in der der Zeitschrift
vorangestellten Liste der „COLLABORATEURS DU MUSÉE DES FAMILLES“ unter
dem Namen Charles Verne
geführt. Vielleicht einer der Gründe, warum nicht immer gleich erkannt
wurde, welches „Schätzchen“ man erwarb, wenn man eine dieser Ausgaben
kaufte. Erst ab zirka 1862 taucht wieder die richtige Schreibweise
seines Namens auf.
QUELLEN:
/1/
Pitre-Chevalier: Musée
des Familles, Paris – Bureaux de l'Administration rue
Saint-Roch 29, Sammelband 1850/51 Bd. 18 Nr. 10 (CF /6734/)
/2/ Jules
Verne: Michel
Strogoff. Moscou -
Irkoutsk bei Pierre-Jules Hetzel, Paris im
Rahmen Les
Voyages Extraordinaires, Ausgabe 1880 mit 370 Seiten
inklusive der Kurzgeschichte Ein Drama in Mexiko
(CF /1405/); Bildzitat von Seite 345
/3/
Zeitung des Jules Verne Clubs: Nautilus Nr. 11/12
(Doppelausgabe) Oktober 2007; 80 Seiten; Beitrag v. B. Krauth: Erster Verne-Text in deutscher
Sprache Seite 63 ff. (CF /6745/)
/4/ Unten:
A. Weichert Verlag Berlin, ca. 1925, Serie Meisterromane der Weltliteratur Band
140 (306 Seiten), Fünf Wochen im Ballon
gemeinsam mit den
Erzählungen: Ein
Drama in Mexico und Zehn Stunden auf Jagd
(CF /0102/) /5/ Bildzitat aus /1/; Seite 312 /6/ Zeitgenössische Postkarte aus den USA 1904: Street scene in Assan, island of Guam; Zeichnungsrepro Motiv um 1850; CF /21281/

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Ein Drama in Mexiko
(Urfassung 1851 / Überarbeitung 1876) – Die 1. Kurzgeschichte Vernes
Die
Urfassung
dieser Kurzgeschichte wurde von Jules Verne bis 1851 unter dem Titel: L'Amérique
du Sud. Études historiques. Les premiers navires de la marine mexicaine
geschrieben und wurde dann im Juli 1851 im Musée des familles,
Bd. 18 Nr. 10 S. 304-312 erstveröffentlicht. Für
Hintergrundinformationen bzw. Erläuterungen zum Musée des familles
bitte ich die Hinweise links am Rand zu lesen. Rechts eine bildliche
Wiedergabe eines Teils der Seite 304 /1/. Die Kurzgeschichte hatte fünf
Kapitel und insgesamt drei Illustrationen von E. Forest und A. de Bar.
Diese sind später nicht weiter genutzt worden.
Bis zu dieser Zeit waren die
Schreibversuche Vernes voll auf Theaterstücke fokussiert. Siehe dazu
auch meine Seite Bühnenwerke
von und nach Jules Verne, auf der ich den
zeitlichen
Werdegang des Schaffens genau gelistet habe. Mit der hier
vorgestellten Kurzgeschichte legt Jules Verne seine erste
Reiseerzählung vor, der danach mehrere ähnlich gelagerte
Kurzgeschichten folgen. Erst im Jahre1863 folgt sein erster Roman Fünf Wochen im Ballon
.So kann man berechtigter Weise
sagen, dass die hier vorgestellte Kurzgeschichte sein erstes Prosawerk
ist und in gebundener Buch-Form kann der Sammelband des Musée des familles
als erste Buchpublikation eines erzählenden Werkes von Verne gelten
– nicht zu verwechseln mit seinem ersten Roman.
Später
erfolgte dann eine Überarbeitung und die Kurzgeschichte wurde als
Anhang der VE 14 Michael Strogoff
unter Un
Drame au Méxique. Les premiers navires de la marine Mexique
am 6. November 1876 bei Pierre-Jules Hetzel in Paris veröffentlicht.
(siehe dazu weiter unten eine Szene aus einer Ausgabe von 1880 /2/).
Ein Vergleich der Texte der Versionen zeigt, dass es zwischen den
Inhalten eine weitestgehende Übereinstimmung gibt. Bis auf die
stilistisch anders gestaltete Schlussszene wurden im Text meist nur
Formulierungen gestalterisch „geglättet“. Wesentlichster Unterschied
ist die Schlussszene. Während in der Erstfassung der Widersacher in
einen Lavastrom eines ausgebrochenen Vulkans stürzt, ist es in der
überarbeiteten Fassung ein reißender Fluß. Weitere Details sind in /3/
nach zu lesen. Dieses Werk ist in der Complete
Jules Verne Bibliography by Volker Dehs, Zvi Har'El & Jean
Michel Margot unter II, 2. Short Stories Nr. 1
erfasst.
Ein
Drama in Mexiko oder: Wie die Republik Mexiko zu ihren ersten beiden
Kriegsschiffen kam
Die
Geschichte beginnt am 18. Oktober 1825. Zwei spanische Kriegsschiffe,
die „Asia“ und die „Constanzia“, bereits seit über einem halben Jahr
von ihren Heimathäfen getrennt, laufen die Insel Guam an (buntes Bild rechts /6/), die zur Zeit
der Geschichte noch zu den Phillippinen gehörte (1898 von den USA
erworben). Dort verschwören sich die Mannschaften, geführt vom
abtrünnigen Leutnant Martinez und dem Marsgast José gegen die spanische
Schiffsführung, die unter Kapitän Don Orteva verantwortlich für die
Mission im Pazifik ist. Ziel der angehenden Meuterer ist es, die
Schiffe in ihre Gewalt zu bringen, um sie dann der erst kürzlich durch
Revolution unabhängigen Republik Mexiko zu verkaufen. Mexiko, nun
abgenabelt von Spanien hatte durch fehlende Kriegsschiffe keinen Schutz
seiner Häfen.
Bei der Revolte auf den Schiffen kommt es zum Tod Ortevas
- die Meuterer bemächtigen sich der Schiffe (siehe Bild links /2/).
Doch der Offiziersaspirant Pablo schwört Rache - aus Treue zu seinem
Vaterland und zu seinem Vorgesetzten. Gemeinsam mit seinen Kameraden
Jacopo setzt er sich von der meuternden Mannschaft ab, die die beiden
Schiffe zur Übergabe an die neue Regierung in den Hafen von Acapulco
gebracht hatte. Der untreue Leutnant Martinez kommt mit dem in Acapulco
ansässigen Gouverneur überein, dass die rechtsgültige Kaufurkunde nur
vom Präsidenten des neuen Staatenbundes, das heißt nur in der
Hauptstadt Mexiko, ausgestellt werden kann. So macht sich Martinez mit
José zum Ritt in die Hauptstadt auf.
Aber
diese Reise scheint unter keinem glücklichen Stern zu stehen. So kommt
es beinahe zu einem Unfall mit einer Giftschlange, dann ist die Quelle
versiegt die eigentlich zur Wasserbevorratung genutzt werden sollte und
schließlich werden während einer Rast die beiden Pferde von einer
abgehenden Steinlawine erschlagen. Die abergläubischen Schurken sehen
das als ein schlechtes Vorzeichen an. Besonders Martinez steigert sich
fast in den Wahnsinn. Als sie dann ausgehungert und mitten in der Nacht
im Hochgebirge von einem Gewitterregen überrascht werden, meuchelt
Martinez seinen Kumpan José mit dem Messer nieder um den unbeliebten
Augenzeugen der Meuterei los zu werden. Wie von Furien gehetzt, den Weg
nur von Blitzeinschlägen erhellt, kommt Martinez an eine
Felsenschlucht, in der ganz unten ein wilder Fluss braust. Eine
schwankende Brücke aus Agave-Stricken überspannt die Tiefe (Die Lianenbrücke - siehe Illustration weiter unten rechts /5/). Laut
schreiend versucht Martinez die Brücke zu überwinden. Doch am anderen
Ende steht Pablo – Martinez weicht zurück – doch der Weg ist
abgeschnitten, den Zugang versperrt auf dieser Seite Jacopo. Ihm
zurufend, dass er Mord und Verrat begangen hat, kappen die Beiden die
Seile ….
Und die beiden
Kriegsschiffe? Die sind der mexikanischen Regierung sozusagen in den
„Schoß gefallen“.
Der Aufmerksame Leser
dieser
Kurzgeschichte wird im Aufbau und in der Stilistik vieles wieder
finden, was auch in den späteren Romanen Vernes immer wieder zum
Standard gehört: Die deutliche Trennung von Gut und Böse, die
unumgängliche Beschreibung des Lebensraumes und der Natur an den
Schauplätzen und – auch hier schon zu lesen: Der „belehrende Teil“,
d.h. der mehr oder weniger geschickte Einbau von Passagen die der
Vermittlung von Hintergrundwissen dienen. Hier im „Drama in Mexiko“ zum
Beispiel durch eine halbseitige Erklärung der Mischrassen der
mexikanischen Bevölkerung, die José in den Mund gelegt wurde.
Die
erste deutschsprachige Veröffentlichung
Wie in /3/ ausführlich
dargestellt,
gingen einige Veröffentlichungen von Jules Verne im deutschsprachigen
Raum recht eigenwillige Wege. Wolfgang Thadewald, der neben
Buchpublikationen vor allem auch Periodika umfangreich auswertete, hat
mit fast kriminalistischen Spürsinn die früheste deutschsprachige
Publikation von Verne gefunden: Es ist die Kurzgeschichte Die Lianenbrücke,
die 1857 im Stuttgarter Familienmagazin Die illustrierte Welt
im Verlag Eduard Hallberger veröffentlicht wurde. Das diese Geschichte
als Verne-Publikation erkannt wurde, zeigt den Scharfsinn Thadewalds,
wurde doch der Autor anonymisiert und der Titel L'Amérique du Sud. Études
historiques. Les premiers navires de la marine mexicaine
wurde in Die
Lianenbrücke umgetauft. Es handelte sich
auch nicht um eine exakte Wiedergabe des französischen Originals. Der
„Übersetzer“ hatte schon kurz nach den ersten Kapiteln seine Arbeit
vereinfacht, in dem er weitere Kapitel lieber nacherzählte, als exakt
zu arbeiten.
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