Jules Verne - rätselhaft (1)

Nautilus 17

NAUTILUS Nr. 17 - April 2010; CF /6775/

Bildquelle:

Paule Roy / Maurice Duvanel: Amiens de Daguerre à Jules Verne; Librairie Poiré-Choqet, Amiens 1988; ISBN 29502147-2-x; Bildzitat von Seite 42; CF /5710/

Rätselauflösung:

siehe hier

In dieser fiktiven Geschichte wird die Ideenfindung zu einem Roman beschrieben. Welcher Roman Jules Vernes wird im nachfolgenden Rätsel gesucht?

Monsieur Verne macht einen Spaziergang

Eigentlich hatte er sein heutiges Morgenpensum geschrieben. Zielsicher angelte er seine Sprungdeckeluhr aus einer kleinen Tasche seines Hausrocks und nach einem kurzen Blick nickte er vor sich hin, es war die richtige Zeit, die geplanten Erledigungen in der Stadt zu beginnen.

So reinigte er die Feder, schob die neu beschriebenen Papierbögen auf einen kleinen Stapel und verließ dann sein Arbeitskabinett um sich im Ankleidezimmer „stadtfein“ zu machen. Die Haushälterin hatte schon seinen Ausgehrock und alles Notwendige bereit gelegt, bestimmt war sie jetzt auf dem Markt. Seine Frau Honorine hatte vor über einer Stunde das Haus verlassen, da sie einen Termin bei ihrem Schneidermeister hatte. Sie hatte sich gar nicht erst bei ihrem Mann verabschiedet als sie das Haus verließ, denn einmal in seiner Arbeit vertieft, war Jules immun gegen Störungen alltäglicher Art. Jetzt war es ihm recht, dass keiner im Hause war, denn ihm war nicht nach Konversation. Eigentlich war er gar nicht so richtig bei Laune, denn in Gedanken hatte er sein aktuelles Projekt schon abgeschlossen, aber ein zündender Gedanke für den nächsten Roman war ihm noch nicht gekommen. Den Schauplatz hatte er sich schon auf dem Atlas ausgesucht: Irgendwo zwischen Australien, besser noch Neuseeland und den Weiten des Pazifiks sollte die Handlung liegen. Aber die richtige Inspiration zum Aufhänger der Geschichte wollte sich nicht einstellen. Die Gedanken drehten sich im Kreise. Noch einen kurzen Blick in den Spiegel, mit der Handkante korrigierte seinen Hut - er war ausgehbereit – Amiens, ich komme!

Den Boulevard Longueville hinter sich lassend, bahnte er sich etwas später  stockschwingend auf dem belebten Trottoir der Rue des Trois Cailloux seinen Weg. Frauen kamen ihm mit sichtlich beladenen Tragekörben vom Markt entgegen. Die Gemüsesaison schien in vollem Gange zu sein, die „schwimmenden Gärten“ am Rande der Stadt sorgten für ein reiches Marktangebot. Kaum hatte er die Beobachtung gemacht, war er in Gedanken schon wieder bei einem neuen Thema. Lebensmittel kaufen, allgemein die  kleinen alltäglichen Notwendigkeiten waren kein Thema für ihn, solche Dinge wurden von anderen erledigt. Nur wenn diese nicht funktionierten, so wie vor kurzem, als er Abends noch schreiben wollte und er konnte sein Arbeitskabinett nicht nutzen, da das Petroleum nur noch für die Beleuchtung des Speisezimmers reichte, dann holten ihn die lästigen Kleinigkeiten der Realität ein.

Da er nicht unter Zeitdruck stand, wollte er heute eine größere Runde machen, um sich dann zur Mittagszeit mit einem Lokalpolitiker zum Essen zu treffen. Inzwischen hatte er die alles überragende Kathedrale Notre Dame passiert, in deren Schatten sich die Häuser dicht an dicht kauerten. Aber sein Ziel lag in Richtung der Somme, die sich gleich in der Nähe in mehrere Kanalarme verzweigte. Jetzt änderte sich die Gegend: Gerade noch separat von der Straße gehend, verschmolzen jetzt Geh- und Fahrweg zu einer groben Pflasterung. Zwar befestigt, doch weit entfernt vom Standard einer größeren Stadt. Darüber sinnierend, das die Straßen und Wege in Amiens doch sehr erneuerungsbedürftig waren, ließ er seinen Blick über den Boden schweifen. Plötzlich erschreckte ihn ein dicht an ihm vorbeifahrender laut rumpelnden Einspänner. Die eisenbereiften ungefederten Räder machten auf dem buckligen Pflaster einen Höllenlärm. Verne schaute dem einachsigen Gefährt hinterher. Trotz der recht großen Räder schwankte der mit  Leinen bespannte Wagen recht unruhig hin und her. Er schüttelte seinen Kopf, dann lieber laufen, sonst wird man noch Seekrank. Schon hatten seine Gedanken eine neue Richtung eingeschlagen, er war wieder im Pazifik. Automatisch Fuß vor Fuß setzend näherte er sich kaum merklich den in gemauerten Einfassungen fließenden Wasserarm eines Kanals.

Amiens Rue FernelDie meist zweigeschossigen Häuser der Rue Fernel und der Rue Tagault trennte nur eine schmale Gasse vom Wasser. Gusseiserne Geländer sicherten den Kanalrand von der Gasse. Zwei barfüßige Jungen standen bei einem etwa ein Kopf Größeren, der es sichtlich genoss, im Mittelpunkt zu stehen. Mit einer Handangel lehnte er am Kanalgeländer, stolz zu seinen Füßen die bereits gefangene Beute präsentierend: Zwei Handteller große Weißfischchen. Der sichtbare Teil seines Angelgeräts bestand nur aus einer Schnur und einem selbstgeschnitztem Flott, welches im fast stillstehenden trüben Wasser trieb. Jetzt verlangsamte Verne seine Schritte, blieb dann in zirka zwanzig Meter Entfernung ganz stehen. Die Szenerie hatte es ihm angetan. Trotz dessen die Jungen in mitten der Stadt waren, versetzte er sie gedanklich in eine neue Umgebung. Er blendete das Haus hinter ihnen aus, auf dessen gekalkter Fassade mit schlanken Lettern gut sichtbaren die Firmierung eines Händlers stand. Genauso wie den Pferdekarren, der just in diesem Augenblick hinter den Jungs vorbei fuhr. Er sah auch nicht, dass im eingemauerten Kanal gleich neben dem Flott der Angel einige Küchenabfälle schwammen. Der Hintergrund hatte sich völlig aufgelöst. Auf einem Felsblock an einem recht schnell fließenden Fluss kauerten ein Junge. Während er versuchte mit einer Angelschnur Fische zu fangen, staksten zwei weitere Kinder zwischen dem ruhigerem Wasser einer steinigen Flachstrecke, um im Schatten der Steine nach Krebsen zu suchen. Sie mussten etwas zum Essen beschaffen! Die zwei kleinen Fischchen die bereits auf dem Stein lagen, reichten bei weitem nicht...

Vernes Spaziergang und seine Verabredung war erst einmal vergessen. Eine Gruppe von Jungens auf einer Insel... sofort erinnerte er sich an seine Leseerlebnisse seiner Jugend zurück ... diese Thematik, dieses Träumen von einsamen Inseln ... es hatte ihn nie wieder verlassen. Jetzt spann er den Gedanken weiter, ja - abseits der Zivilisation, drei oder vier Jungs? Nein, eine größere Gruppe  – das war es!

Zwei Männer näherten sich. Sie trugen schwere Lederschuhe und über ölfleckigen Hosen sah man grobe Baumwollhemden über denen sich breiten Lederhosenträger spannten. Es waren Arbeiter, die aus der nahe gelegenen Manufaktur für Feilen und Raspeln kamen. Sie wollten die kurze Mittagspause nutzen, um ihre nahegelegenen Wohnung aufzusuchen. Gerade noch eifrig plaudernd, verstummten sie und verhielten den Schritt. Sie sahen einen elegant gekleideten reifen Mann am Kanal stehen, mit zusammengekniffenen Augen, beide Hände auf dem Spazierstock gelehnt. Er beobachtete, daran gab es keinen Zweifel, die angelnden Jungs aus dem hiesigen Quartier. Jetzt erkannte einer der Männer seinen eigenen Sohn in der Gruppe. Er schien erfolgreich Fische gefangen zu haben. Sollte sich Ärger anbahnen? „Bonjour Monsieur!“ Der Vater lüftete seine schmierige Kappe: „Gibt es Probleme? Hat mein Jacques etwas Unrechtes getan?“

Die Wirkung war verblüffend – der Beobachter zuckte so zusammen, dass er fast das Gleichgewicht verlor. „Nein, nein ...“ stotterte der Mann, ergriff seinen Stock wieder mit der Rechten und ging mit eiligen Schritten in Richtung Place Vogel.

Inzwischen hatte der überraschte Verne den Kanal hinter sich gelassen. In Gedanken jedoch antwortete er dem besorgten Vater: „Ja Monsieur, es gibt Probleme. Ernsthafte, existenzielle - doch wir werden sie gemeinsam lösen, gemeinsam auf einer einsamen Insel in Mitten des Pazifiks“.

Nautilus 19

NAUTILUS Nr. 19 - Mai 2011; CF /6784/


Rätselauflösung:

siehe hier
In dieser fiktiven Geschichte wird die Ideenfindung zu einem Roman beschrieben. Welcher Roman Jules Vernes wird im nachfolgenden Rätsel gesucht?

Der einsame Mann

Jules nahm das Federmesser und spitze seine Schreibfeder an. Der eigentlich routinemäßige Vorgang brachte ihn fast zur Verzweiflung. Er hatte seinen Schreibtisch zwar schon unmittelbar an das Fenster gerückt, aber mehr Licht ließ ihn die Feder auch nicht besser erkennen. Der Graue Star schränkte ihn doch sehr ein. Missmutig befühlte er das Ergebnis. „Brauchbar ….“ knurrte er vor sich hin. Er haderte mit seinem Schicksal. Seine körperlichen Einschränkungen nahmen merklich zu. Schon seit mehreren Jahren konnte er nicht mehr schmerzfrei gehen, hatte ihn doch damals sein geistig verwirrter Neffe Gaston in den Fuß geschossen. Darüber sinnierend strich er mit der Hand über sein Bein. Mit boshafter Leere lag vor ihm ein Stoß leerer Blätter auf dem Schreibtisch.

Noch vor ein paar Tagen hatte er Louis-Jules, dem Sohn seines verstorbenen Freundes und Verlegers Pierre-Jules Hetzel vermittelt, dass er schon mitten in einem neuen Werk stecke. Geheimnisvoll hatte er ihn angelächelt. In Wirklichkeit war ihm der Stoff ausgegangen. Seine Geschichten waren eigentlich schon alle erzählt. Das weiße unbeschriebene Papier leuchtete ihm entgegen.

Langsam lehnte er sich in seinem Schreibsessel zurück, in Erinnerungen schwelgend. Seine Gedanken ließen ihn in seine Kindheit reisen. Unbeschwerte und glückliche Jahre wahren das damals. Gemeinsam mit seinem Bruder Paul sah er sich am Ufer der Loire herumtoben. In der Nähe von Nantes hatte Ihr Vater ein Sommerhaus in Chantenay, im Westen der Stadt an der Loire gelegen, erworben. Jules hatte mit Paul ein Baumhaus gebaut, auf dem sie abwechselnd Piraten, Forscher oder Ritter waren … Paul könnte sich hier in Amiens auch mal wieder sehen lassen, er selbst fühlte sich gesundheitlich nicht in der Lage Reisen zu machen. Das leichte Lächeln auf seinem Gesicht war sogleich wieder verschwunden. Er spürte die sich breit machende Einsamkeit …

Trotzdem drehte er in Gedanken die Uhr wieder zurück. Denn seine Jugendjahre waren die schönste Zeit seines Lebens. Wer einen gut situierten Notar als Vater hatte, den plagten keine Existenznöte. Da konnte man sich als Junge frei entfalten. Dazu gehörte auch, dass der Vater einiges an Geld ausgab, um seinen Jungs das Bücherregal zu füllen. Abenteuer und exotische Schauplätze waren die Favoriten. Dem Vater war es recht, wenn sich seine Sprösslinge mit Büchern zurückzogen, dann stellten sie wenigstens in der Umgebung nichts an. Jules glitt in Gedanken mit dem Finger über die Buchrücken im Regal. Manche Bücher hatte er mehrfach gelesen. Nie wieder hatte er so intensive Leseerlebnisse.  Er sah die Bücher direkt vor sich: Den „Zwölfjährigen Robinson“ von Frau Mallès de Beaulieu, den „Robinson im Wüstensand“ von Frau de Mirval, die „Abenteuer von Robert-Robert“ von Louis Desnoyers, den „Robinson im Eis“ von Fouinet. In der nächsten Reihe standen Bücher von Wyß und Cooper. Darüber nachsinnend, kam ihm plötzlich eine Idee ein. Könnte er nicht von einem seiner Lieblingsbücher einfach eine Fortsetzung schreiben? Hatte er sich nicht schon als Kind gewünscht, dass seine Bücherhelden noch weitere Abenteuer erleben sollten?

Er richtete sich auf … seine Gedanken überschlugen sich … ja … das war es! Seine Helden vergangener Tage sollten weiterleben. Energiegeladen schob er das oberste Blatt in die richtige Position und seine Feder kratzte über das Papier:

Die schönere Jahreszeit begann wieder in der 2. Woche des Oktobers, des ersten Frühlingsmonats der südlichen Erdhälfte. Der Winter unter dem 19. Breitengrade zwischen Äquator und Wendekreis des Steinbockes war nicht sehr rau gewesen. …

Nautilus 20

NAUTILUS Nr. 20 - Oktober 2011; CF /6785/

Bildquelle:

Ein Bild zum Rätsel, aber nicht die Lösung: Jules Verne Clovis Dradentor; Hetzel 1886;  Bildzitat zu Seite 50; CF /4303/

Rätselauflösung:

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Lapin aux Pruneaux – oder wie ein Mittagessen die Literatur beeinflusste

Die diesjährige sommerliche Hitze ließ in Paris das Pflaster flimmern. Staub wurde von den Gespannen aufgewirbelt. Das quirlige Treiben der Rue de Richelieu hinter sich lassend, tauchte Jules Verne in die Räumlichkeiten der Bibliothèque nationale ein.

Bild aus DardentorEr musste sich eingestehen, dass die Hitze und die innerstädtische Hektik ihn zunehmend anstrengten. Jetzt am Stadtrand von Paris im idyllischerem Auteuil lebend, genoss er zunehmend die Beschaulichkeit und Ruhe. Er brauchte nicht ständig hunderte von Pferdedroschken, fliegende Händler und einen nicht abreißenden Fußgängerstrom. Noch vor einer halben Stunde hatte er mit seinem Verleger ausgiebig gespeist. Monsieur Hetzel hatte sich aus einer Laune heraus ungewohnt spendabel gezeigt.

Jetzt hätte sich Jules eigentlich zu Hause ein Mittagsschläfchen gönnen können. Aber erstens war er schon mitten in Paris, da bot sich der fast routinemäßige Besuch der Bibliothek an, und zweitens war er mit seinen Recherchen in Verzug. Er brauchte noch ergänzende Details zu einer australischen Provinz. Seine Wünsche hatte er schon zwei Tage vorher geäußert und Pasquale, einer der dienstbaren Geister der Bibliothèque Impériale, erwartete ihn schon mit einem kleinen Stapel von Journalen und mehreren Büchern.

Er quittierte den Empfang und suchte sich einen Platz in einem der Leseräume. Es wurde Zeit, dass die Bauarbeiten für den großen Lesesaal beendet würden, denn er fand kaum genügend Platz, um sich auszubreiten. Kaum hatte er sich gesetzt, spürte er wieder die aufkommende Müdigkeit. Die Völlerei machte sich bemerkbar. Aber das Lapin aux Pruneaux, ein wirklich köstlich zubereitetes Wildkaninchen, hatte ihn mehr essen lassen, als vernünftig war.

Er begann zu blättern und seine Zettel füllten sich mit Notizen: Fakten, Namen und Ereignisse. Zunehmend ging es flüssiger, er kam in Form. Als er sich an der Besiedelungsgeschichte von Victoria „fest las“ stutzte er beim Stichwort Kaninchen. Ein Thomas Austin, ein 1815 in England geborener Siedler, sollte vor kurzem, im Jahre 1859, diese in Australien eingeführt haben. Unwillkürlich musste er wieder an seine Schlemmerei heute Mittag denken. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

Eigentlich sollte man diesem Mann ein Denkmal setzen. Konnte er den Namen nicht in seiner Geschichte einbauen? Die Namensgebung des in der Handlung agierenden Siedlers hatte er schon abgeschlossen, welche Personen hatte er noch nicht „getauft“? Schmunzelnd nahm er ihn auf die Mannschaftsrolle des Schiffes, welches maßgeblich in seinem Roman beteiligt war.

„So mein Kaninchenfreund …. die Lesewelt soll an dich denken!“

Eine komplett erfundene Episode die sich um die Person eines Verne-Romans rankt.  Wie heißt der Roman?

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Copyright © Andreas Fehrmann – 5/2012, letzte Aktualisierung 29. Januar 2019