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Jules
Verne - rätselhaft (2) |
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Gewitterwolken am Olymp
Der
Grund war leicht zu verstehen, denn was Jules schon
geahnt hatte: Der alte Hetzel wich nicht einen Deut von seiner
vorgefassten
Meinung ab. Seine Kritik war noch schärfer geworden. Das musste geklärt
werden!
Sofort schrieb er zurück, er wolle sich am Folgetag nachmittags
persönlich im
Verlag bei ihm melden. Jetzt,
nach dem Besuch in Hetzels Bureau, war Jules Vernes Stimmung
völlig dahin. Er hatte seinen Verleger nicht zu einem Einlenken bewegen
können.
Nach einigem Hin und Her hatte dieser sein schon öfters angewendetes
Totschlagargument vorgeschoben: Er sei schließlich für den
kommerziellen Erfolg
verantwortlich, und davon lebe ja auch ein Jules Verne als Autor, und
nicht
zuletzt dessen Familie... Eiligen
Schrittes, heftig seinen Stock
schwenkend, ging er zur Ecke Rue des Saints-Pères. Dort hoffte er eine
Kutsche
zu finden, um möglichst schnell zum Bahnhof
zu gelangen. Diese Geschichte ist natürlich rein fiktiv. Aber der eigentliche Aufhänger ist real. Welchen Roman musste Verne auf Hetzels Druck umschreiben und mit einem neuen Schluss versehen, um ihn von einer realen Geschichte zu einer Traumsequenz zu machen? |
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Die
Karawane
So,
noch etwas Flair durch Beschreibung
von Palmen und
osmanischen Bauwerken … Tiere fehlten noch. Tiere machten sich immer
gut. In
seinem Kopf versuchte er sich eine Szenerie vorzustellen. Palmen
umsäumten ein
weißes Haus, Kamele wankten vorbei … wie damals 1879, als er mit seinem
Bruder
Paul mit der Saint Michel Algerien
besuchte und sie einen Abstecher in die nahe Küstenregion machten.
Klare Bilder
entstanden, aus den Erinnerungen hervorgekramt. Richtig, an dieser
Stelle
könnte er eigentlich mal wieder Kamele, vielleicht sogar eine ganze
Karawane
einbauen. Schiffsreisen gab es schon zur Genüge in seinem Manuskript
und
allerlei Hafenimpressionen hatte er auch schon beschrieben, jetzt
könnte der Weg
wieder einmal über Land gehen. Sozusagen mit einem Wüstenschiff. Das
war auch
sicherer, denn in der letzten Schiffspassage des Vorkapitels hatte er
die
Gefahr von Seeräubern angesprochen. Das nächste Reiseziel, eigentlich
eine
Etappe zurück, muss also mit einer Karawane auf dem Landweg erreichbar
sein. Er
fühlte, wie er wieder in Schreibfluss kam,
und
aus seinem Hintergrundwissen formulierte er eine Diskussion über die
Vor- und
Nachteile unterschiedlicher Reittiere. Mit der Feder stellte er eine
Karawane
aus Maultieren, Eseln und Kamelen zusammen. Diese fiktive Geschichte soll die Ideenfindung eines Teiles eines Romans beschreiben, der in mehreren Regionen spielt – an dieser Stelle aber an der Nordostseite Afrikas. Um welchen Roman handelt es sich? NACHTRAG: Das Rätsel war und ist eine ziemliche Herausforderung. Unter den damaligen Zusendungen der Rätsellöser der NAUTILUS war nur eine richtige Antwort. Die gesuchte Stelle im Roman war ziemlich versteckt. Damit ist es auch eine Herausforderung für die jetzigen Leser meiner WEB-Seite ... |
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Der
seltsame Besucher Die
Türme
der Bibliothèque nationale de France reckten sich in den trüben
Morgenhimmel. Marc
stieg aus der Pariser Metrostation Quai de la Gare und eilte der Straße
entlang zur
Bibliothek. Er war spät
dran, denn in ein paar Stunden musste er schon wieder im Zentrum sein,
private Reisevorbereitungen
standen an. Er hastete die Treppenstufen hinauf, um zu den von ihm
schon lange
erwarteten Materialien zu gelangen. Seit
zwei
Jahren recherchierte er in allen ihm verfügbaren, möglichst alten
Quellen zum
Thema Jules Verne. Dabei versuchte er die Persönlichkeit des Literaten
zu
erkennen, denn sein Ziel war es, diese zum Thema einer
Spezialpublikation zu
machen. Schon seit seiner Jugend beschäftigte er sich mit der Person
Verne. In
seinen Recherchen hatte er
versucht,
Beweggründe und Reflexionen des „Menschen“ Verne
im Spiegel seines damaligen Umfeldes zu
erkennen und zu verstehen. Heimlich bildete er sich ein, schon etwas in
die
Gedankenwelt seines Idols
eingedrungen
zu sein. Er
freute
sich, dass alle bestellten Unterlagen für
ihn verfügbar waren. Bestimmt hatten sie schon den Weg über die
kilometerlangen
automatischen Buchtransportbänder zur benannten Ausgabe
genommen. Er nahm sie
in Empfang und
voller Freude zog er sich
in den zugewiesenen Leseraum zurück. Schon
kurz nach der Eröffnung gegen Ende der
neunziger Jahre besuchte er dieses Haus. Doch die angenehme Atmosphäre
älterer
und vor allem kleinerer Bibliotheken wollte sich in dem modernen und
durchorganisierten Bau nie so recht einstellen. Er
nahm den angewiesenen Platz ein, nachdem er kurz
sein Umfeld
betrachtete hatte. Zur Zeit saß nur ein Leser in seiner unmittelbaren
Nähe.
Nachdem er vor sich die auszuwertenden Schätze platziert hatte, hatte
er diesen
auch schon wieder vergessen. Er schwelgte in den Dokumenten.
Der
Fremde
blickte ihn jetzt direkt an. „Ich wusste, dass ich sie hier heute
treffe. Daher
hab ich diskret in die Platzvergabe eingegriffen.“, sagte dieser in
einem
Französisch mit einem unverkennbaren englischen oder amerikanischen
Akzent.
„Wissen sie, ich bin Journalist und ich habe mich auf die Literaten des
19.
Jahrhunderts spezialisiert. Verne ist mein Favorit.“ – Marc schluckte.
Seine
Sprachlosigkeit ausnutzend, plauderte der Fremde weiter:
„Ihre Betrachtungen kommen
der Person Vernes
schon sehr nahe. Aber einige Schnitzer und Fehlinterpretationen sind
doch
dabei.“ „Wie…,
woher wissen sie…“ Marc hatte es immer noch die Sprache verschlagen und
der andere
sprach weiter: „Also wie schon erwähnt, in ihrer Ausarbeitung werden
Fehler
drin sein, daher wollte ich, da ich noch einige Energie übrig habe,
noch in
dieser Phase etwas korrigierend eingreifen.“ Langsam
dämmerte
Marc, dass es entweder ein Riesenulk seiner Kollegen war die ihn
verladen
wollten, denn sein Buchprojekt hatte sich herumgesprochen – oder hier passierte etwas
so Ungewöhnliches,
dass sich eigentlich alles in ihm sträubte dieses zu glauben. Aber der
Fremde
blickte kurz auf eine etwas unförmige Uhr an seinem Arm und sagte: „Sie
haben
noch drei Stunden, nutzen wir sie intensiv. Ihre Unterlagen können sie
später
nochmals ausleihen.“ Verblüfft über die Sachkenntnis seines
Terminplanes, denn
nicht mal seine Kollegen wussten, dass er heute noch auf Reisen gehen
wollte,
formulierte sich jetzt doch eine Frage: „Wie kommen sie zu meinem
Manuskript?“ - „Sie haben
immer noch nicht verstanden. Ich habe hier ihr fertiges Buch! Sie
werden
allerdings noch über ein Jahr dran schreiben…“ - „Wie…“
- „Das Wie
steht hier nicht zur Debatte. Dazu ist die Zeit zu kurz.“ Er kicherte
leise. „Vielleicht
hab ich auch zu ungeschickt unseren Kontakt angebahnt. Bei Jules Verne
hab ich
mich einfach als interessierter Journalist vorgestellt…“ Marc
brach
der Schweiß aus: „Sie haben Jules Verne kennengelernt?“ Wie sollte das
möglich
sein, könnte so etwas wie eine Zeitreise geben? „Ja,
sagte
der Fremde. Ich konnte es mir nicht verkneifen. Ich bekam für meine
Literaturrecherchen
die notwendige Energie zugeteilt, und so schlug ich als Besucher aus
den
Staaten bei ihm auf. Er war bei unserem ersten Kontakt gerade in der
Vorbereitungsphase für Die Geheimnisvolle
Insel, da war er sehr kontaktfreudig als ich als Amerikaner
vor der Tür
stand. Ich hab ihn irgendwie beeindruckt, obwohl ich mich als damaliger
Zeitgenosse
vorstellte.“ Nochmals
wurde der Fremde von Marc gemustert. Ein Mann von etwa vierzig Jahren,
ein
heller Backenbart, nicht zu klein, soweit man das im Sitzen einschätzen
konnte … Ein
Gedanke kam ihm. Wenn das alles wahr
sein sollte… Marc grübelte: „ Sie sind Gedeon Spilett? – Nein, sie
waren Gedeon
Spilett?“ - „Ja und
nein. Ich wurde es. Er hat es sich ziemlich leicht gemacht. Er hat mich
rein
äußerlich beschrieben. Und mein sicheres Auftreten scheint positiv bei
ihm
angekommen zu sein. Ich konnte im Gespräch einiges aus ihm heraus
locken,
musste ihm aber versprechen, dass solche intimeren Details nicht durch
mich
publiziert werden. Das
konnte ich
zusagen. Meine zukünftigen Veröffentlichungen darüber konnte er
bestimmt nicht
lesen.“ Der Fremde grinste wieder. „Ich
besuchte ihn mehrmals. Er schien es zu akzeptieren, dass ich rein
persönlich an
ihm interessiert war. Im Ergebnis meiner Besuche tauchten dann aber in
seinen
Romanen öfters amerikanische Journalisten auf… zuletzt erkannte ich
mich unter
anderem auch als Harris Kymbale im Testament
eines Exzentrischen.“ Zufrieden lehnte er sich zurück. Marc
ließ
an dieser Stelle einige Fragen zu Verne im Gespräch einfließen. Die
Antworten rundeten
sein Bild über den Autoren ab. Dann fiel ihm noch eine Frage ein: „Aber
es gibt
doch bekannte Interviews ausländischer Journalisten…“ Der
Fremde lachte
laut auf. „Ja, aber
diese Kollegen waren
echt, beziehungsweise Vernes Zeitgenossen. Daher
kennen sie auch deren Artikel.“ Er
machte eine kurze Pause. „Jetzt wieder zu meinen Hinweisen: Natürlich
können
sie mich nicht zitieren. Aber ich hatte damals eine aus meiner Sicht
gute Idee:
Fragen Sie mal hier nach diesem Dokument…“ und er kritzelte auf ein
Blatt Papier
den Namen einer kleinen Bibliothek und eine Registratur. „Es ist
eigentlich ein
handschriftlich geführtes Kassenbuch, das Ladengeschäft wurde noch im
19.
Jahrhundert eingestellt. Aber das Buch rettete sich in das dortige
städtische Archiv.
Dort habe ich auf den hinteren Seiten ein umfangreiches Dossier über
Verne handschriftlich
eingetragen.“ Er sah Marcs
fragenden Blick. „Ja, auch zu ihrer Zeit ist das Dokument noch
vorhanden. Ich
hab es erst vor kurzem überprüft. Nach ihrer Zeit war es erst gestern.
Aber ich
denke in ein paar Tagen wird es nach ihrem Fund einen Standort in einer
berühmteren Bibliothek erhalten?“
Fragend
blickte er zu Marc um dann fortzufahren: „Eigentlich ist es uns
untersagt in
Handlungen einzugreifen und Spuren zu hinterlassen. Aber ich denke ich
durfte
den Ratsbeschluss umgehen, da ich ja nur über Vergangenes schrieb. Ich
hoffe
nur, dass unser heutiges Gespräch und meine Handlungsweise den
Zeitprüfern
verborgen bleibt.“ Marc
wollte
es noch immer nicht glauben. Zweifelnd hielt er den Zettel in der Hand.
„Wie
lange hatten sie den Kontakt zu Verne? Begleiteten sie ihn bis in das
zwanzigste Jahrhundert?“ Er
wollte nicht
das Wort Ende oder Tod nutzen. „Nein gegen
Ende der achtziger Jahre musste ich den Kontakt abbrechen.
Unglücklicherweise
hatte ich dem Rat mitgeteilt, dass meine Identität offenbar erkannt
wurde.
Heute passiert mir das nicht mehr. Meine Reiseauswertungen sind
diskreter
geworden… Sie
schreiben ja bestimmt auch
Reiseabrechnungen, die nicht alle Details enthalten.“ Eine seiner
Augenbrauen
erhob sich fragend. Ohne darauf
einzugehen hakte Marc nach: „Sie wurden als Zeitreisender erkannt?“. „Ja.
Er
wurde stutzig, da ich offenbar nicht alterte. Er hatte inzwischen
einige
gesundheitliche Handicaps – aber, und das fand ich besonders
beeindruckend, er
erkannte, dass ich stets denselben, aber nicht abgenutzten Anzug trug.
Ein
guter Beobachter! Aber der Anzug war maßgeschneidert und wir hatte nur
ein
begrenztes Budget, von der Freigabeprozedur der notwendigen Energie
will ich
gar nicht erst reden… Bei Reisen in ihre Zeit treiben wir den Aufwand
mit der
Schneiderei nicht mehr. Sie können ja alle Narrheiten tragen.
“ Marc ging
darauf nicht weiter ein aber Eines interessierte ihn: „Also offenbarten
sie
sich?“ „Na
ja, ich
beschrieb ihm einiges aus meinem Umfeld und meiner Arbeit. Aber er
zweifelte
stark an meiner Glaubwürdigkeit und verstand auch nicht alle
beschriebenen
technischen Prinzipien. So beschrieb er eben alles mit seinen Worten
und nach dem
damaligen Verständnis.“ - „Er
beschrieb es?“ - „Ich denke
sie kennen sich mit dem Werk Vernes aus…“ Enttäuschung klang aus den
Worten des
Zeitreisenden. Es
reichte zwar nicht zu
einem Roman…“ Marc
dämmerte es. Er begriff die Zusammenhänge. „Trotzdem wollte
ich jetzt, ein paar Wochen nach meinem
letzten Verne-Besuch noch etwas Gutes für uns alle tun. Ich hoffe, sie
können
mit der Gesamtsituation etwas anfangen. Ich rechne außerdem auf ihre
Diskretion.
Marc wurde unruhig und auf die Uhr blickend wollte er wieder auf seine
inhaltlichen Fragen übergehen. Doch der Besucher lehnte weitere Fragen
ab: „Jeder
von uns hat gleich einen Termin. Alles weitere finden sie hier…“ und er
tippte
wieder auf den Zettel. Dann griff er nach Marcs zukünftigem Buch und
versteckte
es am Körper. „Das
werd‘ ich mal
sicherheitshalber wieder rausschmuggeln. Es wird sich sowieso
de-materialisieren. Denn
schon bei der
nächsten Ausleihe werde ich bestimmt ihr korrigiertes Werk lesen
können! Guten
Tag! – denn wir werden uns nicht wiedersehen!“ Eilig
erhob er sich, winkte und strebte dem Ausgang
entgegen. Er ließ einen grübelnden jungen Mann zurück, der die alten ausgeliehenen Dokumente zur Seite geschoben hatte. Mit feuchten Fingern hielt er ein Blatt Papier in der Hand. Und
jetzt die Frage: Aus welchem Jahr der Zukunft kam der
Zeitreisende? |
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Copyright © Andreas Fehrmann – 1/2019, letzte Aktualisierung 29. Januar 2019