Collection Fehrmann

Jules Vernes „Voyages extraordinaires"

- Band VE 16 -




Buch oben: Version von ca. 1925 aus dem Safari-Verlag Berlin mit Illustrationen von Egon Tschirch (CF /1602/) – Buch unten © 1984 Pawlak Taschenbuchverlag, Berlin, Herrsching. ISBN: 3-8224-1024-1 - Nachdruck v. Verlag A. Hartleben, Inh. Dr. W. Rob, Wien I. Pawlaks Collection Jules Verne Band 24 (CF /1601/)




/1/ Hetzel: Magasin d'Éducation et de Récréation; 1877, 2. Halbjahr, Bildzitat von Seite 344 – Vorankündigung der Buchausgabe; Collection Fehrmann /6634/

/2/ Illustration aus: Schwarz-Indien A. Hartleben Verlag Wien Pest Leipzig 1878; Bekannte und unbekannte Wleten Band 24: Bildzitat von Seite 128 (zu S. 127); CF /1603/

/3/ Hrsg. Dehs / Junkerjürgen: Jules Verne – Stimmen und Deutungen zu seinem Werk; Schriftenreihe und Materialien der Phantastischen Bibliothek Wetzlar Band 75; 1. Auflage März 2005; Beitrag von Olivier Dumas: Unter entwürdigender Fuchtel; Zitat von Seite 63 (Brief vom 11. März 1877) CF/5708/

/4/ Beide Bilder ca. 1850 aus: Der Erdball. Seine Entdecker und seine Wunder URANUS Verlag Leipzig 1905 – Collection Fehrmann




Schwarzindien (1877)

FrontispizDie Originalausgabe erschien am 26. April 1877 unter dem Titel Les Indes noires bei Pierre-Jules Hetzel in Paris (Bild links: Frontispiz /1/)

Schwarzindien? - Was ist das für ein Land? - Dies ist die Bezeichnung der Engländer für ihre ausgedehnten Kohledistrikte. Und dort wollen wir uns hin begeben, genauer gesagt nach Schottland, in die Grafschaft Stirling, in die Grube von Aberfoyle (weitere Details dazu siehe weiter unten, unter: Zu Besuch in Aberfoyle). Die Geschichte beginnt mit einer Situation, die auch im 20. Jahrhundert und auch in Deutschland als Beschreibung gepasst hätte: Die Grube war ausgekohlt, der Bergbaubetrieb sollte eingestellt werden. Der leitende Ingenieur sprach zu seinen Leuten:

Meine Freunde ... die Stunde der Trennung hat für uns geschlagen. Die Gruben von Aberfoyle, welche uns so lange Zeit zu gemeinschaftlicher Tätigkeit vereinigten, sind erschöpft.... Dieses Kohlestück, meine Freunde, gleicht dem letzten Blutkörperchen, das ehemals in den Adern von Aberfoyle zirkulierte! ... Die letzten Worte, welche euer Ingenieur an euch richtet, sind die Worte des Abschieds. Ihr habt euer Leben gefristet von der Grube, die sich unter euren Händen geleert hat. ... Vergesst deshalb aber niemals, dass wir so lange Jahre miteinander gelebt haben, und dass es den Bergleuten von Aberfoyle eine Ehrenpflicht bleibt, sich gegenseitig zu unterstützen ...“

Mit diesen rührenden Worten werden die Bergleute in ihrer Grube verabschiedet. Nur einer bleibt zurück mit seiner Frau und seinem Sohn: Der Obersteiger der Grube Dochart, der 55jährige Simon Ford. Er hat sich an der Grubensohle, erreichbar durch viele kaskadierte Leitern die auf kleinen Podesten im Schacht angebracht waren, unterirdisch sein kleines „Cottage“ eingerichtet. Hier lebt er in Abgeschiedenheit, unerreichbar für das oberirdische Wetter.

Eines Tages wird der ehemalige Ingenieur James Starr unter dem Siegel der Verschwiegenheit dorthin eingeladen. Fords Sohn Harry geleitet den Besucher zum Vater, der eine Überraschung offenbart: Im hinteren Ende der Stollen gibt es Gasentwicklungen, die auf ein noch unentdecktes Kohleflöz hinweisen. Sofort brechen alle dorthin auf, und nach einem Auftrennen der Stollenwand wird eine riesige Höhle entdeckt, die voll mit ertragreichen Kohleflözen ist. Die ganze Geschichte wird von widrigen Umständen begleitet. Schon der Besuch Starrs sollte verhindert werden, unter Tage gibt es überraschende Hindernisse, und zu guter letzt werden die Entdecker der neuen Kohlenmine attackiert und ohne Licht und Lebensmittel scheinen sie verloren. Jack Ryan, der Freund Harrys beginnt nach ihnen zu suchen. Auch er bemerkt seltsame Umstände: Ein Teil der Leitern zur „Unterwelt“ sind verbrannt worden. Die eingeleitete Rettungsaktion kann die vermissten aufspüren, da sie durch ein seltsames Licht dorthin geleitet werden.

Der Fund NellsNach dieser Rettungsaktion und der Nachricht der riesigen Kohlefunde, erblüht die Mine zu neuem Leben. Aber die misslichen Umstände und Vorfälle reißen nicht ab. Harry versucht die Lösung zu finden. Dabei entdeckt er in einem alten Schacht die halbblinde 17jährige Nell (Bild rechts /2/). Diese ist offensichtlich unter Tage aufgewachsen, getrennt von anderen Menschen und dem Tageslicht entwöhnt. Sie will oder kann ihre Herkunft nicht erklären. Keiner glaubt, dass sie die Ursache der Probleme ist – im Gegenteil, sie scheint der „Gute Geist“ der Grube zu sein. Harrys Liebe zu Nell entflammt. Bevor er sich ihr offenbart, will er, das sie das Tageslicht und die Schönheiten Schottlands sieht. So soll Nell ihren ersten Sonnenaufgang erleben. In den jetzt folgenden Passagen beschreibt Verne die Schönheiten Schottlands in einer Art, wie es eigentlich nur Schotten tun könnten. Aber interessant ist auch die Schilderung des ersten Kontakts mit der Sonne am Meer in der Nähe von Edinburgh: „... In der ganzen Atmosphäre zitterte eine Art Zwielicht. Endlich traf ein erster Sonnenstrahl das Auge des jungen Mädchens. Es war jener grüne Strahl, der bei reinen Horizonte sich morgens und abends aus dem Meere zuerst oder zuletzt loslöst...“ - Nanu das kennen wir doch? - Natürlich, daraus wurde fünf Jahre später ein Roman: Der Grüne Strahl (bei diesem Link kann man auch über den physikalischen Hintergrund der Erscheinung nachlesen).

Nach der Rückkehr (die von einer Katastrophe überschattet wird), soll geheiratet werden. Aber jetzt eskaliert die Situation vollends. Und wie? - Das müsst ihr selbst nachlesen!

Bemerkung: Erst vor wenigen Dekaden brachte die Auffindung und die Auswertung der brieflichen Korrespondenz zwischen Verne und seinem Verleger Hetzel ein dunkles Kapitel der Zusammenarbeit zu Tage. Verne wollte ganz visionär den Roman „Schwarzindien“ mit einer futuristischen Note versehen. Er hatte eine Art unterirdische Zivilisation in der Zukunft vorgesehen. Dies fiel aber der Zensur seines Verlegers zum Opfer. Frustriert schreibt daraufhin Verne an Hetzel: „Nachdem aber meine erste Idee, die eines unterirdischen England mit Steamern und Railways, verschwunden und die Zeit der Handlung eine andere geworden war, blicke ich nicht mehr durch. Wenn man nicht mehr durchblickt, muss man blindlings marschieren, nicht war, und das mache ich jetzt, indem ich Ihren Anweisungen folge“ /3/. So wurde die Leserschaft um eine weitere Geschichte aus der Zukunft, geschrieben von Jules Verne, gebracht. Gleiches war ja schon bei der erst postum erschienenen Geschichte  Paris im XX. Jahrhundert geschehen.

BergbaugeschichteBergbaugeschichteSchottland als Ort des Geschehens gehört zu Vernes Lieblingsregionen, die er unter anderem auch selbst, gemeinsam mit seinem Bruder besucht hat. Seine Eindrücke schrieb er nieder und sie fanden direkten Niederschlag in dem postum veröffentlichten Buch „Reise mit Hindernissen nach England und Schottland“. Während er noch 1859/60 in der Reise mit Hindernissen nach England und Schottland die Sehenswürdigkeiten und die neue Spezies der Touristen beschrieb, brachte er später die freiheitsliebenden und sympathischen Schotten in mehreren Romanen unter. Erinnert sei nur an  Die Kinder des Kapitän Grant oder Der Grüne Strahl.

TECHNISCHER HINTERGRUND:

Zur Darstellung der traditionellen Abbaubedingungen unter Tage sollen die beiden Bilder aus der Zeit um 1850 dienen. Bild ganz links: Ein Hauer (Bergmann) mit Eisen und Schlegel, den alten traditionellen Werkzeugen. Bild rechts daneben: Bergleute in ihrer typischen Ausrüstung mit einem schienengebundenen Hunt, nicht Hund wie in meiner Verne-Übersetzung (Beide Bilder aus /4/). Hier noch ein interessantes technisches Detail. Über das Geleucht des Bergmanns (Sicherheitslampen) und die bei Verne öfters benutzten Ruhmkorfflampen, kann man sich auf meiner Seite  Technikgeschichte Jules Vernes: Kapitel 2 – Die Ruhmkorfflampe belesen.







/8/ Britische Post Card um 1910: Highland Cottages, Clachan of Aberfoyle; C
F /21326/
Zu Besuch in Aberfoyle

Wenn man die Karte von Schottland betrachtet, dann liegt nördlich von Glasgow und Edinburgh das Gebiet Stirling council area, die früher, wie von Verne benannt, die Grafschaft Stirling war. Dieser Bereich war besonders im 19. Jahrhundert eine typische Bergbauregion, wobei der Abbau von Steinkohle in Stirling dominierte. In mitten der Region liegt die von Jules Verne ausgewählte Ort Aberfoyle, der schon seit Jahrhunderten eine Bergbaugeschichte hat. Aber Vernes Quellen scheinen nicht sehr detailliert gewesen zu sein, denn genau an diesem Ort wurde entgegen seiner Annahme, keine Kohle abgebaut. Dies formulierte er aber in seinen Roman Schwarzindien, indem er die ausgekohlte Grube von Aberfoyle beschrieb. Im realen Leben war dort aber der drittwichtigste Schiefer-Steinbruch von Schottland und dieser hatte von der Qualität her den hochwertigsten schottischen Schiefer. Man konnte ihn seit dem 18. Jahrhundert in fast jeder schottischen Stadt oder in reicheren Dörfern auf den vielen Schieferfliesen-Dächern sehen.

q21326 AberfoyleAnfangs vereinzelt abgebaut, wurde der Aberfoyle Schieferbruch ab Anfang des 19. Jahrhunderts industriell ausgebeutet und bewirtschaftet. Der Steinbruch befand sich in einem abgelegenen, schwer zugänglichen Ort der Grafschaft. Dadurch mussten die Männer die im Steinbruch arbeiteten, auch dort wohnen. Dies geschah in der Anfangszeit in hölzernen Häusern oder einfachen Cottages aus Stein. Siehe Bild links: Ein altes Haus im kleinen Highlanddorf Aberfoyle auf einer Postkarte um 1910 /8/. Wie zu sehen, konnten sich die Bergarbeiter nicht mal den eigenen Schiefer als Dachbedeckung leisten. Ab 1890 hatte die Firma Aberfoyle Slate mehrere Häuserreihen gebaut, in denen die Bergleute mit ihren Familien leben konnten. Heute ist dieser Ort eine Kleinstadt und die Häuser sind als Aberfoyle cottaries unter Touristen bekannt. Der Abbau von Schiefer wurde im frühen 20. Jahrhundert eingestellt. Heutzutage kauft man in Schottland für Schieferdeckungen oder Reparaturen den Schiefer aus China.



/5/ Jules Verne Les Indes-Noires; Bibliotheque d'Education et de Récreation J. Hetzel; Les Voyages Extraordinaires 1877; Bildzitat von Seite 16; CF /1604/

/6/ Autorenkollektiv: Goldene Bibliothek der Bildung und des Wissens; Verlag F. E. Bilz Leipzig 1905; Buch: Die Grundzüge der Geologie; Bildzitat von Seite 15; Collection Fehrmann

/7/ Jules Verne Reise nach dem Mittelpunkt der Erde; Verlag A. Hartleben Wien, Pest, Leipzig; Bekannte und unbekannte Welten ... Bd. 3: 1874; Bildzitat von Seite 113; CF /0309/





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Kaum zu glauben ...

Das OriginalDie "Nachnutzung"

Mittelpunkt... aber war: Als ich vor Kurzem in meiner Bibliothek alter Sachbücher blätterte, traute ich meinen Augen nicht: Das Bild kannte ich doch! Links oben das Original von J. Férat, gestochen von Charles Brabant aus Schwarzindien /5/ und Rechts die freche Kopie eines deutschen Sachbuches von 1905 /6/. Ich hab die Bilder mit der Lupe verglichen – es sind wirklich gleiche Stiche, keine Nachempfindungen. Immerhin hatte es ein Bild aus dem Hause Hetzel, im deutschsprachigen Raum von A. Hartleben offiziell zum Nachdruck erworben, in ein deutsches populärwissenschaftliches Buch geschafft. So hatten sich Verne und Hetzel die Wissenverbreitung bestimmt nicht vorgestellt!

Aber eigentlich ist die Geschichte damit noch nicht zu Ende. Sie begann nämlich viel eher. Denn selbst J. Férat hatte sich bei seinem Motiv bereits bei einem Vorgängermotiv aus den Verne-Romanen orientiert. Zehn Jahre vorher, im Jahre 1864 erschien das Buch Reise nach dem Mittelpunkt der Erde, in dem Riou das links abgebildete Motiv verwendete. /7/

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Hinweis: Beschrieben werden nur in meiner Sammlung befindliche Bücher und Verfilmungen. Dargestellte Bücher sind Beispiele daraus.

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© Fehrmann 12/2000, letzte Aktualisierung 20. Juli 2022