Jules Verne als Stilanleihe
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Quellen: /1/ Hrsg. H. Gernsback: Amazing Stories, New York Oktober 1926; CF /6790/ /2/ Dan Aetherman: STEAMPUNK; 2015 Franzis Verlag GmbH; ISBN 978-3645-60381-2; Zitat von Seite 20 /3/ Jean-Luc Guérin: Coloriages Steampunk,
aus der Reihe Hachette Heroes, Hachette Livre 2017 Paris, ISBN
978-2-01-290425-5. Das Bild wurde von mir beschnitten und eingefärbt. /4/ Jules Verne: 20.000 Meilen unter den Meeren; A. Hartlebens Verlag Wien, Pest, Leipzig 1880; Bildmotiv: Die hell erleuchtete Maschinenhalle; CF /0612/ /5/ Filmprogrammheft: DAS PROGRAMM VON HEUTE / SASCHA (Wien) 1955; /6/ Aus Jules Verne: Hier et Demain, mit den Kurzgeschichten: La Famille Raton. M. Ré-Dièze et Mlle Mi-Bémol. La Destinée de Jean Morénas. Le Humbug. Au XXXIXe siècle: La Journée d’un journaliste américain en 2889. L’Éternel Adam; Collection Hetzel, Paris im Dezember 1910 Illustrationen von: Léon Benett, Félicien de Myrbach und Georges Roux; 248 Seiten; CF /K0101/ /7/ Jules Verne L'Île à Hélice; Bibliotheque D'Education et de Recreation Paris; 14.11.1895; 424 Seiten, 80 Illustrationen, davon 12 in Farbe und Karten, CF /4108/ /8/ Jules Verne Das Dampfhaus bei A. Hartleben's Verlag Wien Pest Leipzig 1882; Band 35 und 36 Bekannte und unbekannte Welten ...; 416 Seiten mit 99 Illustrationen – CF /2004/ /9/ Foto: AndreasFehrmann 2015 Les Machines de l’île in Nantes / Frankreich, gefärbt /10/ Jules Verne: Robur le Conquérant J. Hetzel et Cie; Nov. 1886; Ausgabe unter anderem mit mehreren Chromotyphographien; Bildzitat dargestellt zwischen Seite 208 und 209; CF /2811/ /11/ Jules Verne Maître du monde / Un drame en Livonie (Doppelband) Bibliotheque D'Education et de Recreation Paris 1904; mit diversen Chromotyphograhien (CF /5303/) /12/ Motiv: Modell der Epouvante im Centre de Documentation Jules Verne Amiens – Foto und Nachbearbeitung © Fehrmann 03/2005 /13/ Bild von Vadim Voitekhovitch (auf der verlinkten Seite bei KUNSTNET gibt es eine Vielzahl von weiteren Bildern). Wiedergabe auf meinen Seiten mit freundlicher Genehmigung des Künstlers. /14/ Foto: Christine Fehrmann 2019 /15/ Jeff Vandermeer und S.J. Chambers: The Steampunk Bibel; 2011 Abrams Image New York, USA; ISBN 978-0-8109-8950-0. Buch bei mir ohne Registratur. /16/ Jules Verne La chasse au Météore als Ausgabe im „Type à un éléphant (1905 – 1919)“; Collection Hetzel Paris; 236 Seiten + 236 Seiten mit Donaupilot; Illustrationen von George Roux mit Chromotypographien; CF /8607/ Alle vorgenannten Bücher und Materialien sind aus der Collection Fehrmann
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Gedankliche Korrektur In
mehrenen Publikationen werden Sciencefiction-Schriftsteller des 19.
Jahrhunderts als Väter, Urheber oder Wurzeln des Steampunks genannt.
Immer mit dabei sind Jules Verne, der wahrhaft visionäre H.G. Wells und
öfters auch der Herausgeber Hugo Gernsback. Letzterer ist vielen vorallem
durch seine langanhaltende Publikation der Amazing Stories (Beispiel siehe Bild rechts /1/), dem ersten Sciencefiction-Magazin, in Erinnerung. Siehe dazu vertiefend meine Seite Amazing Stories, das Zeitalter der Scienefiction beginnt in den Staaten ....
. Wenn aber, wie bereits im einleitenden Beitrag zur Definition des
Steampunks erläutert wurde, dieses Genre erst in den frühen achtziger
Jahren des letzten Jahrhunderts sozusagen "aus der Taufe gehoben wurde",
dann können hundert Jahre vorher nicht die Ursprünge zu finden sein. Daher
tendiere ich zu der Aussage, dass diese Autoren nicht die Väter
des Steampunks sind, sondern dass sie der Inspiration und der
Stilanleihe dienten. Zu einer ähnliche Einschätzung gelangt auch Dan
Aetherman in einer Buchpublikation: "Die fantastischen Romane von Jules Verne wie >20.000
Meilen unter dem Meer< oder das Werk >Die Zeitmaschine< von
H.G. Wells waren typische Vorläufer der Steampunk-Literatur, obwohl die
genannten Autoren damals noch gar nicht wussten, was Steampunk
bedeutet." /2/ Die Kreativen der Steampunkszene fanden und finden
Beschreibungen und Illustrationen, die passfähig zur gedanklichen
Kunstwelt des Steampunks sind. Aufgrund der Thematik meiner
Jules-Verne-Seite, möchte ich nachfolgend vor allem Reflexionen auf
Verne in Bezug bringen, ohne das dadurch das Mitwirken anderer Autoren und
Künstler herabgewürdigt werden soll.
Der Charme der alten Visionen Schon recht früh erkannte der Verleger und Herausgeber Pierre-Jules Hetzel,
dass sich mit den Werken Jules Vernes in großformatigen reich illustrierten
Büchern mehr Umsatz machen lässt. Also kamen kurz nach den
kleinformatigen
unillustrierten Erstausgaben prächtig illustrierte Bücher auf den
Markt. Die aufwändigen Holzstiche in den Romanen sollten mehrere
Generationen von Lesern prägen. Siehe dazu auch vertiefend meine Seite Der Charme des Holzstiches - Die Originalillustrationen der Voyages Extraordinaires.
Da in den illustrierten Ausgaben, je nach Umfang vierzig bis achtzig Holzstiche
enthalten sind, steht uns inzwischen ein Archiv von über zweitausend
Bildmotiven aus Vernes Werken zur Verfügung. Die alten Holzstiche tragen noch heute dazu
bei, dass sie mit ihrem Flair und dem Hauch der Nostalgie eine
eigenartige Stimmung verbreiten. Gleichzeitig vermitteln sie uns aber
auch die direkte bildhafte Umsetzung der Vorstellungen des Autors,
welche damals, zur Entstehungszeit der Bücher gewünscht wurde. (Bild links: Jules Verne aus Coloriages Steampunk /3/) Wenn man die
damals geschaffenen Bilder analysiert, dann lassen sie sich
grob in drei Kategorien aufteilen. Zuerst ist dort die Vielzahl
der Romane Vernes mit geografischen Bezügen und den dementsprechenden
Abbildungen zu finden. Als Vorlagemotive dieser dienten oft Anleihen von real existierenden Ansichten, Gebäuden oder Landmarken. Bei den oft im Text eingebundenen Beschreibungen von bekannten Sehenswürdigkeiten ist das auch nicht
verwunderlich. Denn diese Art der Romane waren stets an die Erkundung unserer Erde
oder an Reisen von A nach B orientiert. Dann kommt die zweite Gruppe von Motiven: Den größten Anteil von Illustrationen bildet die Gruppe der Motive universeller
Art. Sie setzten sich aus Bildern der Hauptakteure der Romane oder beliebig
auswechselbaren Versatzstücken, sprich Alltagsmotiven, von der Romanbühne
Vernes zusammen. Diese beiden Kategorien wollen wir hier nicht weiter betrachten. Für uns ist an dieser Stelle die dritte Kategorie, die zahlenmäßig kleinste von Interesse. Denn schwerer taten sich die
Illustratoren, wenn sie die von Verne erdachten neuen technische Lösungen
oder noch nie dagewesene Phänomene oder Erscheinungen darstellen
sollten. Nennen wir sie: Die damalige Visionen. Interessant in diesem
Zusammenhang ist, dass Verne einige der Motive mit den Künstlern
diskutierte, diese also nicht immer freihe Hand in der Darstellung
hatten. Bei
einigen war aber der Autor und der Illustrator technisch überfordert:
Wie sollte man etwas auf das Papier bringen, was es so in der Realwelt
noch nie zusehen gab? Genug der Vorrede, sehen wir uns beispielhaft nachfolgend ein paar der alten Originalillustrationen an, die als technischen Visionen im
Bezug zum Steampunk durchaus als Anregung gedient haben könnten.
Spurensuche bei Vernes Illustratoren
Im Jahre 1869 entführt Verne seine Leser mit dem Roman 20.000 Meilen unter dem Meere an einen völlig neuen Ort der Handlung: Wir begeben uns unter den Meeresspiegel. Mit Hilfe der damals als revolutionär geltenden Nautilus lernen wir die Wunder der Unterwasserwelt kennen. Links sehen wir den Maschinenraum der Nautilus /4/ in einer Originalillustration. Den technischen Hintergrund dazu habe ich im Beitrag: Jules Verne und die Elektrizität: Die Antriebskraft beleuchtet. Dort befindet sich auch eine Analyse der dargestellten Bildelemente. Aber die Nautilus, der Name gilt heute fast als Synonym für U-Boote, beschäftigte auch viele Filmemacher und Illustratoren die Jahrzehnte später das Werk bildlich umsetzten. Legendär ist die Umsetzung vom Bühnendesigner und Schauspieler Harper Goff, der für die 1954er Verfilmung der Disney-Studios eine Nautilus im viktorianischen Stil, fast wie aus einer Steampunk-Werkstatt schuf. Siehe dazu mein Filmprogrammheft /5/ unten:
Die Verbreitung dieses Designs erstaunt um so mehr, wenn man
erfährt, dass Verne zur Entstehungszeit eine unterwasseroptimierte
stromlinienförmige Nautilus grafisch umsetzen liess.
Aber wechseln wir den Roman und die Szenerie . Unten sehen wir
den Apparateumfang einer Bildtelefonie a la Jules Verne. In der 1889
erschienenen Kurzgeschichte Im XXIX. Jahrhundert - Ein Tag aus dem Leben eines amerikanischen Journalisten im Jahre 2889 nimmt ein Journalist über den Atlantik Kontakt mit seiner Frau auf. Siehe unten /6/:
Dort haben wir die volle Steampunk-Hardware-Spielwiese: Grammophonetrichter, Edisonwalzen, Elemente der Optik, diverse Spulen, Schalter und Röhren - die Bastelei kann beginnen. Prägend für eine Vorstellungswelt auf der Basis von Vernes Romanen sind auch die Applikationen zum Thema Dampf. Sehen wir uns dazu Beispiele an. Im Roman Die Propellerinsel beschreibt Verne im Jahre 1895 eine künstliche schwimmende Insel, die zum Vergnügen wohlhabender Leute den Pazifik durchkreuzt. Natürlich muss dazu auch die Kraft der Bewegung erzeugt werden. Blicken wir also in den Maschinenraum (Bild links unten /7/) . Dort habe ich eine Zweifach-Expansions-Dampfmaschine identifiziert: Im Bild rechts oben /8/ sehen wir eine besonders gewagte Konstruktion zum Thema Dampf: Im Roman Das Dampfhaus (auch der Stahlelefant) aus dem Jahre 1880 reisen ein paar Engländer mit einem dampfangetriebenen Elefanten, der als Zugmittel für zwei "Wohnanhänger" dient, quer durch Indien. Diese Vision setzten die Macher der Ausstellung und Fabrikation des Erlebnisparks Les Machines de l’île in Nantes, der Geburtstadt von Jules Verne, in die Realität um. Siehe dazu auch die ganz unten auf dieser Seite platzierte Verbindung. Dort stelle ich noch andere Ergebnisse der Künstler vor. Bild links /9/ Einen besonderen Platz in der Liga der außergewöhnlichen Fortbewegungsmittel bei Verne nehmen die Flugmaschinen ein. Ein interessantes Detail dazu: Wenn es sich um motorgetriebene Flug-Fahrzeuge handelt, dann sind diese stets mit einem Elektroantrieb ausgerüstet, der mit Batterien wunderbarer Kapazität gespeist wird. Das ist auch unter den Gedanken des Steampunks kein Stilbruch, denn Elektrizität im stationären Bereich wurde eben im 19. Jahrhundert in Generatoren die durch Dampfmaschinen angetrieben wurden erzeugt. Im mobilen Bereich benötigt man Batterien. Und wenn man im Equipment der Steampunker die vielen leuchtenden Röhren und Lämpchen sieht, dann geht dies eben auch nostalgisch verkleidet nur mit Elektrizität zu realisieren. Dampf kann ohne Energieumwandlung rein physikalisch nicht zur Beleuchtung verwandt werden. Aber zurück zum Flugwesen bei Verne. Sehen wir uns dazu Vertreter an: Chronologisch taucht als motorbetriebenes Luftfahrzeug zuerst die Flugmaschine Albatros von Robur auf. Diese Konstruktion wird als Vorläufer des Hubschraubers angesehen und wirklich schreibt der US-amerikanische Luftfahrtpionier Igor Sikorski (1889 - 1972) in seinen Memoiren, dass ihn Verne zur Konstruktion seines ersten Hubschraubers angeregt habe. Die Idee stammt aus dem 1886 erschienenen Roman Robur der Eroberer (auch: Robur der Sieger). Siehe dazu das Bild links unten /10/. Im obigen Bild links sehen wir die Albatros, sozusagen dass an Propellern aufgehangene Schlachtschiff im Hintergrund des Bildes, bei einer Auseinandersetzung mit einem herkömmlichen Luftschiff der damaligen Zeit. Gerade mögliche bewaffnete Auseinandersetzungen mit fiktiven Waffen sind heutzutage ein beliebtes Sujet im Steampunk. Oben rechts im Bild /11/ zeigt sich noch ein wunderlicheres Gefährt. Es ist das Amphibienfahrzeug Epouvante, welches neben Schwimmen und Tauchen an Land auch noch schnell Fahren konnte. Dazu kam, dass es außerdem noch flugfähig war. Es stammt aus dem Roman Der Herr der Welt von 1904. In der Chromotypographie rechts oben befindet es sich an Land und die Flügel sind eingeklappt. Die Modellumsetzung dieses Gefährts in der gesamten fiktiven Funktionalität sehen wir in der Darstellung rechts /12/. Das diese Art von Fahrzeugen stimulierend für eine Vielzahl von Künstlern wirkte, ist in einer großen Bandbreite von aktuellen Werken erkennbar. Nachfolgend habe ich ein Beispiel daraus ausgewählt: Es handelt sich um das Bild: Der fliegende Fisch von Vadim Voitekhovitch /13/, links abgebildet. Es würde den Rahmen der hier möglichen Darstellung sprengen, wenn ich noch weitere Illustrationsbeispiele im Quervergleich zu heutigen Künstlern aufzeigen würde. Was wir mit auf den Weg nehmen sollten: Das Stöbern in den Büchern Jules Vernes, in denen die originalen Illsutrationen wiedergegeben sind, ist auf jeden Fall für den Leser und Betrachter ergötzlich und für den Künstler und Gestalter von Steampunk-Art inspirierend. Vielleicht kann dieser WEB-Seiten-Beitrag auch Anregung geben, wieder einmal zu einem Buch von Verne zu greifen. Anmerkungen Das die Symbiose von Steampunk und Jules Verne Interesse weckt, zeigte sich ganz praktisch auf dem STEAMROSE Festival in Forst (Lausitz) im September 2019. Eine Veranstaltung die inzwischen im Zwei-Jahres-Rhytmus organisiert wird. Das liebevoll vorbereite Steampunk Ereignis war vollgepackt mit den unterschiedlichsten Programmpunkten, Ausstellern und künstlerischen Aktivitäten. Ein ganz kleiner Puzzlestein bei dem Fest war mein Vortrag zum Thema Jules Verne als Quelle der Inspiration. Über fünfzig Besucher des Vortrags bewiesen, dass das Thema des Vortrages zum Ereignis passfähig war. Rechts eine Impression /14/ aus dem Vortragsraum: Ein Teil der Besucher hat sein Equipment vorsichtig im hinteren Teil des Saales abgelegt. Und noch eine Ergänzung zum Thema: Eines
der "Standardwerke" des Steampunks, von denen es in ähnlicher Art
inzwischen viele Bücher gibt, ist die 2011 von Jeff Vandermeers
herausgegebene Publikation The Steampunk Bibel. Siehe dazu das Bild llinks /15/. Der Untertitel zeigt die Bandbreite des Inhaltes: An illustrated guide to the world of imaginary airships, corsets and goggles, mad scientists, and strange literature.
Da sich Autor und Co-Autor Chambers auf Jules Verne als einen der
"Influencer" der Szene berufen, haben sie ihr Buch bewusst im Stile
einer illustrierten Hetzel / Hachette - Ausgabe gestaltet. Siehe dazu
im Vergleich rechts dargestellt /16/ die weit über hundert Jahre alte
französische Doppelausgabe von Die Jagd nach dem Meteor geeinsam mit Der Donaupilot aus meiner Sammlung.
Fortsetzung Weiter geht es mit Besuch in Nantes: Les Machines de l’île |
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© Andreas Fehrmann – 9/2019, letzte Aktualisierung 24. Januar 2024